Kultur etoy versus eToys: Kunst
gegen Kommerz, David gegen Goliath wider Ausverkauf des Netzes
Schlachtgetöse im Internet
Im Internet tobt der Krieg. Ein
amerikanisches Gericht hat der europäischen Künstlergruppe etoy verboten, ihre
Internet-Domäne www.etoy.com weiterhin zu verwenden. Das kalifornische Unternehmen eToys,
unter www.etoys.com der größte Spielzeuganbieter im Netz, fühlt sich durch die
Nachbarschaft der Künstler gestört. Die sind aber schon seit 1995 im Netz registriert,
eToys erst seit 1997: Der Kommerz trachtet nach der Kontrolle im Internet, will Künstler
und andere Störenfriede unter fadenscheinigen Vorwänden verdrängen. Mehr als 40 Gruppen
unterstützen etoy mittlerweile im Netz und in den Medien. Auch auf der Gegenseite
formiert sich eine Front. Der Kampf im Netz wird zum Kampf ums Netz.
Am 29.November hat der ehrwürdige Richter
John P. Shook vom Los Angeles Supreme Court der etoy untersagt, ihre Internet-Domäne www.etoy.com
fürderhin zu betreiben und diesen Namen im Zusammenhang mit der Dokumentation ihres
Projekts Digital Hijack zu verwenden, zu veröffentlichen oder in anderer Form
zu verbreiten. Seither droht den Künstlern eine Strafe von 10000 Dollar pro Tag, falls
sie dem zuwiderhandeln.
Dabei ist etoy seit 1994 im Internet, ließ sich 1995 die Domäne mit dem nahe liegenden
Namen www.etoy.com einrichten, kreierte virtuelle Kunst vom Feinsten, die Surfer
begeisterte und nicht nur sie: Etoy erhielt 1996 für das Projekt Digital
Hijack auf der Ars Electronica sogar die Goldenen Nica für
Internet-Kunst. Bei Digital Hijack tricksten sie die Internet-Suchmaschinen
aus: Wer nach Art, Baby, Beatles, Crime, Ecstasy, Love, Madonna, Playboy und zahlreichen
anderen Begriffen fahndete, dem boten die Netzspürhunde die etoy-Seite ganz oben auf der
Liste an. Einmal dort gelandet etoy hatte die Zurück-Funktion gesperrt
, gab es kein Entkommen mehr: Beweg dich nicht, du Hosenscheisser! Dies ist
eine digitale Entführung.
Doch Wehe: Seit November 1997 verkauft eToys Spielzeuge über das Internet unter
dem Domänennamen www.eToys.com. Zwei Jahre lang führten
Kunst und Kommerz aber eine zwar virtuelle, dafür aber ganz alltägliche Nachbarschaft:
Man kümmerte sich keinen Deut um sein Nebenan: etoy schöpfte und eToys sahnte ab,
avancierte zur 16-größten Business-Seite im Internet, hatte zeitweise einen Wert von
mehr als acht Milliarden Dollar.
Plötzlich fühlte sich eToys durch die Namensähnlichkeit gestört und bangt zudem um
sein kinderfreundliches Image fürchtet also, Kunden zu verlieren und
Umsatzeinbußen zu erleiden. Der casus belli der Beweis, welch immense
Gefahr von der krass-chaotischen Kunst ausgeht ein Schrieb eines entrüsteten
Kunden: Es ist unverantwortlich, einem Kind so etwas zu zeigen! Wir werden nie
wieder etwas bei Ihnen kaufen. Der Enkel des Empörten war bei der Spielzeugsuche im
Netz auf die Seite von etoy gerutscht. Dort lockt die Offerte, auf altmodische Art
und Weise weiterzureisen. Eine Finte, denn einen Mausklick weiter bekennt etoy, es
unterstütze eben jene altmodische Art und Weise nicht und fordert frech:
Get your fucking flash plugin (Besorge dir endlich das verfickte Flash
Plugin).
eToys strengte einen Gerichtstermin gegen etoy und siegte in der ersten Runde. Die
Anwälte hatten nämlich sämtliche Aktionen aus dem Kontext gerissen: Das Wort
fucking galt ihnen nicht als gebräuchlicher Kraftausdruck, sondern als
Beschreibung eines pornographischen Akts. Und Digital Hijack
werteten sie als echte Entführung, brandmarkten das preisgekrönte Projekt als
terroristische Aktion.
Nun gut, der Künstlergruppe Kunst mag die feine Art nicht sein. Wer mit dem Feuer
spielt..., könnte man nun denken. Doch so einfach ist es nicht: www.etoy.com war
zwei Jahre vor www.eToys.com registriert. Hätte nicht die Sorgfaltspflicht dem
Spielzeugversand geboten, sich zu vergewissern, was die Nachbarn im Netz so treiben? etoy
ist Kunst und als solche sofort erkenntlich. Darf man da alles wörtlich, für bare Münze
nehmen? Und selbst wenn, bleibt dann das Recht auf freie Meinungsäußerung auf der
Strecke?
Welches Recht gilt überhaupt im Internet: kalifornisches, US-amerikanisches oder
internationales? Die internationale Organisation ICANN (Internet Corporation for Assigned
Names and Numbers) jüngst gegründet, um Regeln für derartige Rechtsfragen
aufzustellen gäbe mit ihrer Uniform Dispute Resolution Policy etoy das
Recht, www.etoy.com beizubehalten. Doch das Gesetz ist weder in Völle gültig,
noch musste es bislang einer gerichtlichen Prüfung standhalten. Andererseits gibt es den
vom amerikanischen Senat abgesegneten Satellite TV Viewers Act, der erlaubt,
jeden an dem Ort vor Gericht stellen, wo die entsprechende Domäne registriert wurde
im Fall von .com, .org und .net bedeutet das in den USA.
Hier unterlag jedoch gerade die Fima Hasbro mit ihrem Kleber Clue, die vom
Computer-Consulting-Unternehmen Clue den Domänen-Namen www.clue.com erstreiten
wollte: Inhaber einer bekannte Marke sind nicht automatisch dazu berechtigt, diese
Marke als ihren Domänen-Namen zu verwenden. Das Namensschutzrecht unterstützt solche
Monopole nicht, urteilte der Richter. Andere US-amerikanische Experten für
Rechtsfragen zum Internet meinen sogar, die Anschuldigungen von eToys gegen etoy
bestünden nicht einmal den Kicher-Test. Und in der Öffentlichkeit steht
eToys ebenfalls am Pranger: Absurd und Gier-getrieben schalt die
Mehrheit der Zeitungen und Magazine. Die Attacke eToys stelle nichts anderes dar,
als den Versuch eines einflussreichen Unternehmens, seine (kommerziellen) Interessen über
die anderer zu stellen, dabei deren (Bürger-)Rechte einzuschränken, und das Internet zum
Spielball finanzkräftiger Firmen zu machen, es zu reglementieren und beherrschen, wie es
beim privaten Fernsehen bereits der Fall ist.
Noch trotzt etoy eToys, David dem Goliath. So lehnten die Künstler auch das Angebot des
Konzerns ab, den Namen www.etoy.com für 530000 Dollar zu kaufen. Unsere
Emotionen, unsere künstlerische Integrität unser ganzes Ding steckt in dem
Domänen-Namen, sagt ein etoy-Sprecher. Die Hauptverhandlung ist für den
27.Dezember nach dem Weihnachtsgeschäft angesetzt. Aber wie lange wird etoy
die kostenträchtige Schlacht gegen E-Commerce-Giganten durchhalten können? Und die
Amerikaner haben etwa beim hormonhaltigen Fleisch gezeigt, dass sie mit
harten Bandagen zurückschlagen, wenn die Interessen ihrer Wirtschaft zu verteidigen gilt.
Allerdings unterstützen inzwischen mehr als 40 Initiativen, ganze Netzwerke toywar.com,
eToys-sucks.com, eviltoy.com etoy, versuchen teils die
eToys-Seite zu blockieren: Internet-Terrorismus, vom dem sich etoy
distanziert. Und eToys beteuert, die Gegenwehr sei nutzlos. Dennoch veranlassten sie, dass
das Electronic Disturbance Theater, das zum virtuellen Sit-in
gegen sie aufgerufen hatte, vom Netz genommen wurde. Denn seit dem 29. November fiel der
Wert der eToys-Aktien auf fast die Hälfte.
Für etoy findet sich laufend weitere Verbündete: Ex-Greatful Dead Songwriter John Perry
Barlow, Radiosprecher Douglas Rushkoff, Joichi Ito den das Time-Magazin zur
Cyber Elite zählt gründeten das etoy Crisis Advisory
Board. Carl Byington, der im Süden der USA mehr als ein Dutzend E-mail Domänen
kontrolliert, sperrte alle Verbindungen von und zu eToys. Und die Gegenseite schlägt
zurück: Der Internet-Registrator Network Solutions sperrte die E-mail Adressen von etoy
ohne rechtliche Handhabe. Das ist völlig illegal klagt etoy-Sprecher
Zai. Soweit war nicht einmal der ehrwürdige Richter John P. Shook in seinem Urteil
gegangen.
Jürgen Schickinger
Zurück zum
Inhalt
© 1999 Badische
Zeitung
technischer Betrieb: FreiNet GmbH,
Freiburg i.Br. |