Kultur
22. Dezember 1999

etoy versus eToys: Kunst gegen Kommerz, David gegen Goliath – wider Ausverkauf des Netzes

Schlachtgetöse im Internet

Im Internet tobt der Krieg. Ein amerikanisches Gericht hat der europäischen Künstlergruppe etoy verboten, ihre Internet-Domäne www.etoy.com weiterhin zu verwenden. Das kalifornische Unternehmen eToys, unter www.etoys.com der größte Spielzeuganbieter im Netz, fühlt sich durch die Nachbarschaft der Künstler gestört. Die sind aber schon seit 1995 im Netz registriert, eToys erst seit 1997: Der Kommerz trachtet nach der Kontrolle im Internet, will Künstler und andere Störenfriede unter fadenscheinigen Vorwänden verdrängen. Mehr als 40 Gruppen unterstützen etoy mittlerweile – im Netz und in den Medien. Auch auf der Gegenseite formiert sich eine Front. Der Kampf im Netz wird zum Kampf ums Netz.

Am 29.November hat der ehrwürdige Richter John P. Shook vom Los Angeles Supreme Court der etoy untersagt, ihre Internet-Domäne www.etoy.com fürderhin zu betreiben und diesen Namen im Zusammenhang mit der Dokumentation ihres Projekts „Digital Hijack“ zu verwenden, zu veröffentlichen oder in anderer Form zu verbreiten. Seither droht den Künstlern eine Strafe von 10000 Dollar pro Tag, falls sie dem zuwiderhandeln.

Dabei ist etoy seit 1994 im Internet, ließ sich 1995 die Domäne mit dem nahe liegenden Namen www.etoy.com einrichten, kreierte virtuelle Kunst vom Feinsten, die Surfer begeisterte – und nicht nur sie: Etoy erhielt 1996 für das Projekt „Digital Hijack“ auf der Ars Electronica sogar die „Goldenen Nica“ für Internet-Kunst. Bei „Digital Hijack“ tricksten sie die Internet-Suchmaschinen aus: Wer nach Art, Baby, Beatles, Crime, Ecstasy, Love, Madonna, Playboy und zahlreichen anderen Begriffen fahndete, dem boten die Netzspürhunde die etoy-Seite ganz oben auf der Liste an. Einmal dort gelandet – etoy hatte die „Zurück“-Funktion gesperrt –, gab es kein Entkommen mehr: „Beweg dich nicht, du Hosenscheisser! Dies ist eine digitale Entführung.“

Doch Wehe: Seit November 1997 verkauft eToys Spielzeuge über das Internet – unter dem Domänennamen
www.eToys.com. Zwei Jahre lang führten Kunst und Kommerz aber eine zwar virtuelle, dafür aber ganz alltägliche Nachbarschaft: Man kümmerte sich keinen Deut um sein Nebenan: etoy schöpfte und eToys sahnte ab, avancierte zur 16-größten Business-Seite im Internet, hatte zeitweise einen Wert von mehr als acht Milliarden Dollar.

Plötzlich fühlte sich eToys durch die Namensähnlichkeit gestört und bangt zudem um sein „kinderfreundliches“ Image – fürchtet also, Kunden zu verlieren und Umsatzeinbußen zu erleiden. Der casus belli – der Beweis, welch immense Gefahr von der krass-chaotischen Kunst ausgeht – ein Schrieb eines entrüsteten Kunden: „Es ist unverantwortlich, einem Kind so etwas zu zeigen! Wir werden nie wieder etwas bei Ihnen kaufen.“ Der Enkel des Empörten war bei der Spielzeugsuche im Netz auf die Seite von etoy gerutscht. Dort lockt die Offerte, auf „altmodische Art und Weise“ weiterzureisen. Eine Finte, denn einen Mausklick weiter bekennt etoy, es unterstütze eben jene „altmodische Art und Weise“ nicht und fordert frech: „Get your fucking flash plugin“ (Besorge dir endlich das verfickte Flash Plugin).

eToys strengte einen Gerichtstermin gegen etoy – und siegte in der ersten Runde. Die Anwälte hatten nämlich sämtliche Aktionen aus dem Kontext gerissen: Das Wort „fucking“ galt ihnen nicht als gebräuchlicher Kraftausdruck, sondern als „Beschreibung eines pornographischen Akts“. Und „Digital Hijack“ werteten sie als echte Entführung, brandmarkten das preisgekrönte Projekt als terroristische Aktion.

Nun gut, der Künstlergruppe Kunst mag die feine Art nicht sein. Wer mit dem Feuer spielt..., könnte man nun denken. Doch so einfach ist es nicht: www.etoy.com war zwei Jahre vor www.eToys.com registriert. Hätte nicht die Sorgfaltspflicht dem Spielzeugversand geboten, sich zu vergewissern, was die Nachbarn im Netz so treiben? etoy ist Kunst und als solche sofort erkenntlich. Darf man da alles wörtlich, für bare Münze nehmen? Und selbst wenn, bleibt dann das Recht auf freie Meinungsäußerung auf der Strecke?

Welches Recht gilt überhaupt im Internet: kalifornisches, US-amerikanisches oder internationales? Die internationale Organisation ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) – jüngst gegründet, um Regeln für derartige Rechtsfragen aufzustellen – gäbe mit ihrer „Uniform Dispute Resolution Policy“ etoy das Recht, www.etoy.com beizubehalten. Doch das Gesetz ist weder in Völle gültig, noch musste es bislang einer gerichtlichen Prüfung standhalten. Andererseits gibt es den vom amerikanischen Senat abgesegneten „Satellite TV Viewers Act“, der erlaubt, jeden an dem Ort vor Gericht stellen, wo die entsprechende Domäne registriert wurde – im Fall von .com, .org und .net bedeutet das in den USA.

Hier unterlag jedoch gerade die Fima Hasbro mit ihrem Kleber „Clue“, die vom Computer-Consulting-Unternehmen Clue den Domänen-Namen www.clue.com erstreiten wollte: „Inhaber einer bekannte Marke sind nicht automatisch dazu berechtigt, diese Marke als ihren Domänen-Namen zu verwenden. Das Namensschutzrecht unterstützt solche Monopole nicht“, urteilte der Richter. Andere US-amerikanische Experten für Rechtsfragen zum Internet meinen sogar, die Anschuldigungen von eToys gegen etoy bestünden nicht einmal den „Kicher-Test“. Und in der Öffentlichkeit steht eToys ebenfalls am Pranger: „Absurd“ und „Gier-getrieben“ schalt die Mehrheit der Zeitungen und Magazine. Die Attacke eToys’ stelle nichts anderes dar, als den Versuch eines einflussreichen Unternehmens, seine (kommerziellen) Interessen über die anderer zu stellen, dabei deren (Bürger-)Rechte einzuschränken, und das Internet zum Spielball finanzkräftiger Firmen zu machen, es zu reglementieren und beherrschen, wie es beim privaten Fernsehen bereits der Fall ist.

Noch trotzt etoy eToys, David dem Goliath. So lehnten die Künstler auch das Angebot des Konzerns ab, den Namen www.etoy.com für 530000 Dollar zu kaufen. „Unsere Emotionen, unsere künstlerische Integrität – unser ganzes Ding steckt in dem Domänen-Namen“, sagt ein etoy-Sprecher. Die Hauptverhandlung ist für den 27.Dezember – nach dem Weihnachtsgeschäft – angesetzt. Aber wie lange wird etoy die kostenträchtige Schlacht gegen E-Commerce-Giganten durchhalten können? Und die Amerikaner haben – etwa beim hormonhaltigen Fleisch – gezeigt, dass sie mit harten Bandagen zurückschlagen, wenn die Interessen ihrer Wirtschaft zu verteidigen gilt.

Allerdings unterstützen inzwischen mehr als 40 Initiativen, ganze Netzwerke – toywar.com,   eToys-sucks.com, eviltoy.com – etoy, versuchen teils die eToys-Seite zu blockieren: „Internet-Terrorismus“, vom dem sich etoy distanziert. Und eToys beteuert, die Gegenwehr sei nutzlos. Dennoch veranlassten sie, dass das „Electronic Disturbance Theater“, das zum „virtuellen Sit-in“ gegen sie aufgerufen hatte, vom Netz genommen wurde. Denn seit dem 29. November fiel der Wert der eToys-Aktien auf fast die Hälfte.

Für etoy findet sich laufend weitere Verbündete: Ex-Greatful Dead Songwriter John Perry Barlow, Radiosprecher Douglas Rushkoff, Joichi Ito – den das Time-Magazin zur „Cyber Elite“ zählt – gründeten das etoy „Crisis Advisory Board“. Carl Byington, der im Süden der USA mehr als ein Dutzend E-mail Domänen kontrolliert, sperrte alle Verbindungen von und zu eToys. Und die Gegenseite schlägt zurück: Der Internet-Registrator Network Solutions sperrte die E-mail Adressen von etoy – ohne rechtliche Handhabe. „Das ist völlig illegal“ klagt etoy-Sprecher Zai. Soweit war nicht einmal der ehrwürdige Richter John P. Shook in seinem Urteil gegangen.

Jürgen Schickinger

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