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Als würde Shell das Öl ausgehen

etoy sind Netzkünstler, eToys sind Internet-Geschäftsleute. Vor Gericht trafen sie sich zum ersten Mal

Es war ein Präzedenzfall für das Internet: Der amerikanische Spielzeugversand eToys hatte im vergangenen Jahr die europäische Künstlergruppe etoy verklagt. Jetzt haben sich die beiden Parteien außergerichtlich geeinigt: Etoy bekommt die Internet-Adresse zurück, die monatelang gesperrt war.

In den letzten Wochen hatten Netzaktivisten auf der ganzen Welt gegen das Verfahren protestiert, die Angestellten von eToy mit E-mails bombardiert, und sogar versucht, den Server der Firma zu hacken. Die schlechte Presse für eToys führte dazu, dass der Aktienkurs des Unternehmens von über 60 Dollar im November 1999 auf unter 20 Dollar am Mittwoch sank.

Für etoy ist die Webadresse ein wichtiger Bestandteil ihrer Kunst, den sie auch für knapp eine halbe Million Dollar nicht an den amerikanischen Konzern verkaufen wollte. Die Mitglieder der Gruppe, die in der Öffentlichkeit mit kahlen Köpfen, verspiegelten Sonnenbrillen und orangen Uniformen auftreten, wollen ihre wahren Namen nicht nennen. Mit "Agent Gramazio" sprach Tilman Baumgärtel.

Das Verfahren, das eToys gegen Sie angestrengt hat, hat für viel Aufsehen gesorgt. Nicht nur, dass etoy aus der Netzkunstszene viel Unterstützung erfahren hat, über den Fall ist sogar bei CNN, in der "New York Times" und in der Börsenpresse ausführlich berichtet worden. Wie ist Ihr Resumee, nachdem Sie ein Verfahren gegen ein großes Internet-Unternehmen gewonnen haben?

Wir sind Medienkünstler, die mit Informationsviren arbeiten. Dieser Fall war für uns darum das perfekte Betätigungsfeld. Wir haben in dieses Verfahren all die Themen reinpacken können, mit denen wir auch schon vorher gearbeitet haben. Eigentlich hätte man sich kein schöneres Bild ausmalen können. eToys sind, wie wir auch, ein Zero-Gravity-Unternehmen...

Ein was?

Die bestehen im Grunde nur aus einer Website, und darin gleichen sie uns. Wir sind eigentlich nur ein Name. Und auch eToys hat nur einen Business-Namen, eine Börsen-Kapitalisierung und diese Website. Alles andere, zum Beispiel die Auslieferung, wird von anderen Unternehmen gemacht. Die haben nichts, nicht mal eine Immobilie, denn sie bestehen nur aus Geld, oder besser gesagt: aus versprochenem Geld. Und das ist das neue Geschäftsmodell schlechthin. Dadurch ist so ein Unternehmen natürlich sehr angreifbar. Wenn sich so eine Firma ihren Namen im Internet nicht sichert - das ist fast so, als würde Shell das Öl ausgehen...

Das klingt so, als würden Sie sich eToys recht nahe fühlen. Und in der Tat treten Sie selbst ja wie ein Unternehmen auf: Sie haben eine "Corporate Identity", Sie haben Ihren Namen als Marke angemeldet und verkaufen sogar eigene "Kunstaktien"...

Klar, wir verstehen sie ganz gut, aber sie haben uns nie verstanden. eToys ist ein Riesen-Unternehmen, in dem Milliarden stecken. Gleichzeitig müssen sie auf Gaudi und lustig machen, um ihr Spielzeug zu verkaufen. Sie stellen sich als die tollen, kreativen Jungs aus Kalifornien dar - fast wie Künstler. Eigentlich sind wir die Künstler, aber jetzt können wir als knallhartes Unternehmen auftreten, das die anderen in den Boden rammt. Das sind Aufweichungen, die sehr spannend sind, weil die Kategorien Kunst und Geschäft verwischt werden.

Das ist Netzkünstlern ja oft vorgeworfen worden: Sie würden nur ein bekanntes Kunstkonzept aus den 80er-Jahren aufwärmen, wenn sie im Internet so auftreten, als seien sie eine Firma oder eine andere Institution.

Das denke ich nicht. In den 80er- Jahren war so was nur ein Spiel. Jetzt zeigt sich die Realität. Die Grenze zwischen realen Unternehmen und solchen "Kunst-Unternehmen" verwischt sich total. Wir haben uns eine wirkliche Machtprobe mit eToys geliefert - und gewonnen.

Kann man sagen, dass eToys auf ihre künstlerische Methode hereingefallen sind?

Ja, und dabei hätte ich von eToys mehr erwartet. Ich dachte, dass sie das Internet besser kennen. Aber sie haben es geschafft, die ganze Netz-Community gegen sich aufzubringen.

Die haben nicht verstanden, dass das Internet keine reine Shopping Mall ist. Es ist auch keine grosse Wüste, wo man Öl pumpen geht und die Indianer abknallt, die einem dabei im Weg sind. Das Verfahren hat gezeigt, dass die verantwortlichen Leute bei eToys das Internet nicht verstehen. Das ist eigentlich der größte Schaden, den sie genommen haben.

Gleichzeitig haben ihre Aktien an der Börse stark an Wert verloren. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Kursverlust von eToys und dem Verfahren gegen etoy?

Das ist schwer zu sagen. Diese ganzen Börsengeschichten sind eine psychologische Angelegenheit. Inzwischen ist die Aktie von eToys unter den Nominalwert gesunken, was wirklich tragisch ist. Gut hat das Verfahren ihrem Kurs sicher nicht getan.

Gleichzeitig hat jeden dritten Tag in wichtigen Zeitungen wie der "Washington Post", der "New York Times" und in Finanzzeitungen was gestanden. Wenn die Anleger merken, dass da etwas nicht ganz klar ist und dass dieses Etwas der Name ist, dann verkaufen sie. Und je mehr Leute verkaufen, desto mehr breitet sich die Panik heraus. Ich kann das eigentlich nur so erklären, dass sie jetzt so tief gefallen sind.

Betrachten Sie Ihre Aktivitäten in diesem Verfahren als Kunst?

Unsere Kunst hat in den letzten Monaten im Gerichtssaal und in den Zeitungen stattgefunden. Ich glaube, dass wir durch solche Sachen aus dem Kunst-Ghetto ausgebrochen sind. Das war auch der Grund, warum wir in dieses Wahnsinnsunternehmen eingestiegen sind. eToys hatte uns 400 000 Dollar für unsere Internetadresse angeboten. Fast alle unsere Freunde haben damals gesagt, wir sollten das Geld nehmen und aufhören.

Man dachte, dass wir sonst Hunderttausende von Dollars für das Verfahren zusammenpumpen müssten und dann irgendwann im Hinterhof zusammengeknüppelt werden, weil das in Amerika eben so läuft. Aber wir haben trotzdem weitergemacht, weil es für uns eine Gelegenheit war, den Kunstbegriff zu erweitern. Und zwar auf eine Art, die jeder versteht.

Ist es für Sie wichtig, dass Ihre Arbeit allgemein verständlich ist?

Ja. Kunst muss einen Impact auf die Gesellschaft haben. Kunst muss sich mit den wichtigsten Themen ihrer Zeit konfrontieren. Wir beschäftigen uns mit Aktien, mit der Börse und mit Big Corporations, weil das zurzeit das relevanteste Thema ist - vielleicht noch nicht in Europa, aber in Amerika schon.

In den USA zeigen sie in der TV-Werbung, wie alte Leute im Internet mit Aktien handeln. Da sieht man, wie ein ganzes Gesellschaftssystem funktioniert oder funktionieren will. Das sind die Themen, von denen es abhängt, ob die Leute später eine Rente haben oder ob die ganze Wirtschaft zusammenbricht.

ETOYS VS. ETOY

Das Ende des Spielzeugkriegs

Am Mittwoch wurde das Verfahren, das der amerikanische Internet-Spielzeugversand eToys gegen die europäische Künstlergruppe etoy begonnen hat, im gegenseitigen Einvernehmen eingestellt.

eToys haben nicht nur ihre Klage zurückgezogen, sondern übernehmen auch die Anwalts- kosten von etoy in Höhe von 40 000 Dollar.

Am 1. November 1999 hatte eToys die Künstlergruppe etoy verklagt. Der Grund: angebliche Verwechselungsgefahr der Internet-Adressen. Kunden hatten sich beschwert.

Ein Gericht in Kalifornien nahm den Fall an, obwohl etoy und die Website der Gruppe bereits seit 1995 existieren. Der Spielzeug-Versand ging dagegen erst 1997 ans Netz.

etoy wurden in dem

"Spielzeugkrieg" in den letzten Monaten von Netznutzern auf der ganzen Welt unterstützt. Zum Dank haben etoy jetzt das Online-Spiel "Toywar" im Netz veröffentlicht.

Toywar

http://www.toywar.com

Artikel vom 28. Januar 2000

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