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Krieg im Netz

Muskelspiel der Bosse: Warum der Konzern "eToys" die Kunst von "etoy" nicht mag

Von Gottfried Kerscher

Die Kinder, die, der Windel gerade entschlüpft, die Maus in die Hand nehmen und ihren Weihnachtszettel digital zusammenstellen, wenden sich diskret an eToys. Die Firma machte in jüngster Zeit wie viele Internetfirmen enormen Gewinn.

Nun ließ sie die Muskeln spielen: Wer das "s" von eToys vergisst, der landet nämlich bei Freaks aus der Kunstszene: etoy.com. Und diese bösen Buben könnten, so die eToys-Bosse, die Kinder mit ihrer Kunst verderben. etoy, das sind sieben glatzköpfige Herren im Overall-Einheitslook, die vorgeben, nur als Teil ihrer Korporation zu existieren. Im World Wide Web bauten sie ihr Zelt auf, und das Netz wurde zu ihrer alleinigen Domäne, in der Musik produziert und Aktionen veranstaltet wurden.

Einst eine Art von Wunderkindern, waren sie aus der Hackerszene in die Kunstszene emigriert und platzierten fortan ihre Werke ausschließlich im Netz. In den Jahren 1995/96 machte etoy in seinem "Digital Hijack" auf gewisse Schwächen und Probleme des Internet aufmerksam: 1,5 Millionen Internet-User erfuhren, wie leicht sie im Netz manipuliert werden können, wie das Netz funktioniert oder eben nicht funktioniert. Die Goldene Nica der Ars Electronica, vergeben von einer internationalen Jury, folgte dann im Jahre 1996.

Weitere Netz-Kritik wurde auf der Site www.etoy.com in "Tanks" versammelt, sei es eine "Galerie", die aus einem Auge bestand, das den User anblickte und die eigene Netzadresse als Zeichen der Ausspionierbarkeit des Einzelnen bekanntgab, sei es eine Station zum Bräunen der Haut, bestehend aus einem blinkenden Bildschirm. Sarkastisch wurden die Utopien der damaligen Netzfetischisten bloßgelegt. etoy avancierten in der Folge schnell zu Kultstars der Szene (vgl. FR 21.9.96).

Die Materialien der Site wurde nun, da die Anwälte von eToys keine andere Rechtsmittel zur Verfügung hatten (eToys ging erst 1997 ans Netz), als "beleidigend und pornografisch" gebrandmarkt: Für einige Wochen war das Wort "fucking" in Zusammenhang mit einem Plugin, also weit entfernt von Pornografie, geschaltet. Am 10. Oktober dann wurde die Domain von etoy per Gerichtsbeschluss blockiert, und alles bloß, weil jemand Angst hat, ein vergessenes "s" könnte den Umsatz minimieren und Kinder verderben! Die Domain, also etoy.com, ist die einzige Basis für die Kunstwerke und die Aktionen, die die Künstler seit Jahren zu einer wichtigen Netzadresse machen.

Die Domain zu zerstören, wäre, als nähme man einem Maler Leinwand und Farbe weg. Wer will sich schon die provisorische Adresse http:/146.228.204.72:8080 merken? Stellen Sie sich vor, Sie hießen Schulz. Nun kommt auf einmal ein Herr Schulze und möchte, dass Sie Ihren Namen ändern oder fortan 184.378.43.27 heißen!

eToys sollte allerdings etwas vorsichtiger bei der Wahl seiner Feinde sein. Denn seit dem Gerichtsurteil tobt ein Sturm im Netz. Bis zum 19. Dezember erreichten den Autor mehr als 70 Mails und Nachrichten in dieser Angelegenheit, die Gruppe "Rtmark" hat ihre Homepage zur Verfügung gestellt, damit Protestmails versandt und virtuelle Sit-Ins gebildet werden können. Hunderte von Mails gehen an etoy und eToys, und in Netzkreisen öffentlich zu einem "Spiel" aufgerufen, zum Hacken der eToys-Site. Viele realisieren, welche Konsequenzen das Vorgehen der Konzerne haben wird - schon jetzt gibt es Parallelfälle, die ermutigt vom Gerichtsurteil gegen etoy, ähnliches für andere Domain-Inhaber planen.

Dieser Fall geht weiter als die bisher bekannten, in denen es in erster Linie um Rechte an Bildern, Texten und Logos ging, etwa wenn George Lucas seine "Star Wars"-Erfindungen gegen Fans verteidigte. Hier geht es um die Kolonialisierung des WWW. Am 27.12. findet die nächste Sitzung in dieser Angelegenheit vor dem "California State Court" statt.

 

[ dokument info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 22.12.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 23.12.1999

 

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