Wie die Etoy-Kampagne geführt
wurde
Reinhold Grether 09.02.2000
Ein Agentenbericht
Wer sich dieser Tage in die
Netzkunstplattform Toywar einwählt, entdeckt im
Indischen Ozean zwei Seefriedhöfe, in denen 286 von 1639
Toywar-Agenten in legoähnlichen Särgen bestattet liegen. Den
Kriegerinnen und Kriegern ist aufgrund nachlassender Beteiligung
schlicht die Energie ausgegangen. Ein Netzkunstprojekt existiert nur
soweit, als Netzknoten es mit Leben erfüllen. Da darben sie nun in
ihren Särgen und müssen sich die Beerdigung als künstlerische
Artefakte gefallen lassen. Landen gar auf dem Kunstmarkt.
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Nicht weil sie tot sind, sondern für das, was sie
getan haben, verdienen sie unsere Verehrung. Wie oft habe ich es
beobachtet, den redaktionellen Magazinartikel im Einstiegskopf einer
Webseite und das Brodeln der Ideen im Gedärm der Foren darunter.
Dort wurden Mailadressen von eToys-Beschäftigten und Sit-in-Skripte
herumgereicht, Leute lernten sich kennen und bauten gemeinsam eine
Protestseite, und ein kollektives Brainstorming schüttete ein
Füllhorn an Vorschlägen aus, mehr als jede professionelle
Kampagnenorganisation verarbeiten konnte. Allen Unkenrufen zum Trotz
steigert das Netz den Aktionsspielraum der Einzelnen sowie die
Markteintrittschance von Ideen, fördert und erleichtert die
Zusammenarbeit in virtuellen Gruppen und erlaubt in günstigen Fällen
die Selbstorganisation einer Gegen-Matrix, die ein hochorganisiertes
Machtkartell an die Wand spielen kann.
Thank you for flying
etoy....
Etoy und eToys existieren nur übers Web, allerdings auf
unterschiedlichen Steigerungsstufen der Virtualität. EToys betreibt
http://www.etoys.com/, um
hunderttausend Spielsachen in Millionen Kinderhände gelangen zu
lassen. Die Webseite ist eine Drehscheibe, die Realien in Umlauf
bringt. War es Toys'R'Us in den achtziger Jahren noch möglich, das
Spiele-Universum in einem Netz aus Großkaufhäusern real zu
präsentieren, wird es Ende der neunziger von eToys in einem Netz von
Computerterminals als rein virtueller Zeichenraum zur Darstellung
gebracht. Unterschiedliche Vertriebsformen, die sich auf dieselben
Realien beziehen. Etoy, der künstlerische Dritte, steigert die
Realabstraktion zur rein virtuellen
Netzexistenz. Die Toys von etoy sind voll und ganz in Datensets
codiert und das einzige käufliche Kunstprodukt der Gruppe sind
Beteiligungspapiere, etoy.SHARES, die zunächst über Galerien und
seit jüngstem über die Toywar-Plattform in Umlauf gesetzt werden.
Wer Anteile erwirbt - durch Kauf, Rekrutierung oder Ableistung
bestimmter Aufgaben - wird Teil eines Kunst-Universums, das sich
ausschliesslich im Netz abspielt.
Kunst ist Kapital, wusste Joseph Beuys, und versammelte im
gleichnamigen Schaffhauser
Raum Apparate und Artefakte der medialen Kommunikation, die der
betrachtende Geist in Aktion versetzen muss, um die eigene
Produktivität als Kapital und sich selbst als Künstler zu erfahren.
Die Dimension der sozialen Plastik gewinnt dies
Selbstbeteiligungsmodell der Kunst nur insoweit, als die imaginative
Befragung der Relikte anthropologischen Medienhandelns auf die in
ihnen verkapselte Interaktionsgeschichte rückschließt und sich
dadurch Spielräume für zukünftige Partizipationsmöglichkeiten
öffnen. Im Anschluss an Beuys, der im übrigen alle Medien seiner
Zeit für den Aufbau sozialer Skulpturen nutzte, entwickelt etoy mit
dem Shares-Konzept und der Toywar-Plattform neue Beteiligungsformate
an Kunst, die bei Ausschöpfung der Vernetzungspotentiale des
Internets einen virtuellen Informations-, Kommunikations- und
Transaktionsraum, ein Ensemble von Aktionstools für "Eingriffe in
den symbolischen Reproduktionsprozess von Gesellschaft" ( Frank
Hartmann) und ein institutionenbildendes
Selbstartikulationsorgan für Virtualität energetisch aufladen.
Etoy's energeia scheint demnach auf die Übersetzung des Konzepts
sozialer Plastik in digitale Formate abzuzielen.
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Etoy durfte das Übernahmeangebot von eToys, das
seinerzeit immerhin eine Million DM wert war, aus künstlerischen
Gründen nicht annehmen. Zwar hätte die Story funktioniert,
schließlich gehören "unfriendly takeovers" zum Geschäftsalltag.
Netzkunst hätte erstmals einen aufsehenerregenden Preis erzielt und
nomadische Künstler verlegen Domains sowieso in die jeweilige
Subversionszone. Das Projekt einer virtuellen sozialen Plastik wäre
allerdings mit der Domain außer Reichweite geraten. Es grenzt an
Hohn und zeugt von schlechtem Gedächtnis, wenn etoy heute
vorgeworfen wird "abzusahnen". Eine ungleich größere Menge Sahne
haben sie versauern lassen.
So standen sich also zwei Webrepräsentanzen gegenüber, die
parasitäre von eToys, die den Umlauf schon bestehender Realien
organisierte, und die autochthone von etoy, die mittels webbasierter
Tools sowohl virtuelle als auch reale gesellschaftliche Prozesse
unter Selbstentblößungs- und Veränderungsdruck setzte. Zwei
Beteiligungsmodelle stießen aufeinander, eines, das
Kursveränderungen von Börsenpapieren notiert, und eines, das
Partizipationsleistungen mit Projektanteilen honoriert.
Gleichermaßen war es ein Konflikt zweier Lebensformen, einer
konsumistischen, die dem Verzehr, hier einer Domain, absoluten
Vorrang einräumte, und einer artistischen, die statt Kunstobjekten
die Ausstellung komplexer sozialer Praktiken zum Gegenstand von
Kunst erklärte. Und nicht zuletzt stand die Zukunft des Web auf dem
Spiel. Sollte es auf eine Transaktionsplattform für ECommerce
abgehalftert - oder sollten die in ihm angelegten Möglichkeiten
spontaner Vernetzung, "sozialer Informationsverarbeitung" ( Michael
Giesecke), kultureller Überlagerung, Verflechtung und
Durchdringung und personaler Globalisierung weiterentwickelt werden?
Darin besteht die Kunst von etoy, diese Polaritäten in aller
Klarheit exponiert und der Netzöffentlichkeit zum Entscheid
vorgelegt zu haben. Und obwohl Toywar erst einen Monat nach dem
ersten Gerichtsbescheid ans Netz ging, haben die Netizens diese
Frage verstanden und auf ihre Weise beantwortet. John Perry Barlow
hat recht, wenn er sagt,
wir alle sollten etoy dankbar sein. Anerkennung verdienen aber nicht
nur die Freistellung der Fragestellung und die Entwicklung von
Toywar, sondern auch die öffentlich nicht sichtbare Verfeinerung der
juridischen Probleme. Was da an Druck und Gegendruck, an
Drohkulissen und gezielten Irreführungen auszuhalten und aufzubauen
war, darüber können nur die unmittelbar Beteiligten etwas mitteilen.
Das juristische Resultat bezeugt jedenfalls dieselbe Klasse wie die
Exposition des Entscheidungsproblems.
Ist doch alles keine Kunst? Kunst ist ein Zuschreibungsbegriff,
der seine Belege laufend ändert. Renaissance, Romantik und Moderne
haben eine Unzahl von Konzepten entwickelt, die aus dem Überblenden
von Kunst und Leben ästhetische Funken schlagen. Etoy steht in
diesen Traditionen. Gibt's doch alles schon bei Duchamp? Duchamps
"ready-mades" wahren weitgehend Objektcharakter, etoy zwingt
komplexen sozialen Prozessen, diesmal der Vermarktung und
Vermachtung von Virtualität, Ready-made-Charakter auf. Die Praktiken
von etoys und Network Solutions, das
sind die Ready-mades der 00er Jahre. Hat nicht Beuys das Thema der
sozialen Skulptur voll und ganz erschöpft? Falsch, Beuys hat soziale
Plastiken im Medium des anthropologischen Psychismus entwickelt, im
Medium des transanthropischen Virtualismus gibt es erst Ansätze,
beispielsweise Luther Blissett und
Toywar.
Warhol betrieb die Rekontextuierung von Alltagsikonen im großen
Stil, Koons exponierte die Pornographie der Oberfläche und die
Business Art der 80er Jahre inszenierte corporate identity bis zum
Abwinken, was also soll uns etoy? Etoy's Perversion besteht darin,
die Wertentwicklung einer einzigen Ikone, ihres als http://www.etoy.com/ virtuell
dargestellten Namens, in den Aufmerksamkeitsspiralen des
Ökonomischen, des Politischen, des Sozialen und des Künstlerischen
Umlauf für Umlauf nach oben zu schrauben und so den
Wertschöpfungsprozess der Finanzmärkte im Exzess der
Selbstüberdrehung zu spiegeln. Da genügt es eben nicht, wie Ingold
Airlines eine Fluglinie nur zu simulieren, man muss schon mit
den "fucking plug-ins" von agent.jeff Lauda Air die Start- und
Landeslots abjagen.
Bringing IT to YOU....
Als, wir schreiben November 1999, das eToys-Management seinen
Coup einfädelte, der Richter Shook über den Akten brütete und etoy
das Konzept der Toywar-Plattform entwarf, hatte ich gerade ein
mehrmonatiges Studium der Kursentwicklung am Neuen
Markt, dem deutschen Pendant zur amerikanischen Technologiebörse
Nasdaq, hinter mir. Für das Gros der Werte gilt, dass einem steilen
Anstieg nach Börseneinführung und einer mehr oder minder langen
Zickzackplateauphase ein deutlicher Kursverfall folgt, der in ein
lustloses Herumdümpeln auf Emissionspreishöhe mündet. Dem Wert
fehlt, wie man sagt, Phantasie. Da die jungen Firmen die Märkte erst
schaffen, auf denen sie sich bewegen, lässt der Kurs die
miserabelsten Marktdaten abtropfen, solange die Story die
Kurserwartung beflügelt.
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Die eigentliche Dynamik liegt in der Story, dem
Imaginären
der Börse, die wie der Föhn solange für Auftrieb sorgt, wie
heiße Luft nachgeliefert wird. Verliert die Story im Lauf der Zeit
an Plausibilität, hat der smarte Anleger die Gewinne mitgenommen,
dasselbe Papier auf Termin geliehen, zum hohen Kurs verkauft und bei
Fälligkeit zum gesunkenen Kurs zurückgekauft und zurückgegeben. Wer
die Wendemarken antizipiert, verdient sowohl bei der Berg- als auch
bei Talfahrt. Souverän der Spekulation ist, wer die Story dreht.
Dreht sich die Story, dreht sich der Markt. Der Kurs verfällt,
weil ein Überhang an Marktteilnehmern glaubt, bei sinkenden Kursen
besser zu verdienen als bei steigenden. Unangenehm nur für die, die
auf hohen Kursen sitzen bleiben. Langzeitanleger warten auf die
nächste Hausse, andere stellen ihre Verluste glatt und verstärken
den Trend, und richtig Mitleid verdienen diejenigen, denen
Börsenregeln das Handeln verbieten. Das sind, in den sechs der
Börseneinführung folgenden Monaten, die Gründerinvestoren und das
beteiligte Firmenmanagement. Schaut man sich zudem das Marktumfeld,
den generellen Börsentrend und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung
an, können nicht nur Literatur- und Wirtschaftswissenschaftler
argumentativ unterfütterte Aussagen über die Zukunft von Story und
Kurs riskieren.
Streiten zwei sich um dasselbe, z.B. die Domain http://www.etoy.com/, wird derjenige
gewinnen, der das begehrte Gut in den Augen der Gegenseite als doch
nicht so begehrenswert erscheinen lassen kann. Heiß begehrt war die
Domain von eToys, verliert sie doch 20.000 von 300.000 Hits pro Tag
an etoy.com. Heiß begehrt war die Domain von etoy, war sie doch die
Knallreferenz ihrer Kunstexistenz. Und besonders brisant war der
Streit, weil die Kontrahenten unterschiedliche Logiken bespielten,
die der Wirtschaft, wo es um Zahlungen, und die der Kunst, wo es um
Absonderliches geht. Die Künstlergruppe besaß einen doppelten
Heimvorteil: einmal gehörte ihr die Domain und, viel wichtiger, die
Ausstellung des Absonderlichen der Finanzwelt war nichts weniger als
ihr künstlerisches Projekt. Während etoy immer beide Logiken
ausspielen konnte, gelang es eToys weder, den Gegner
wirtschaftslogisch, z.B. durch eine Prozesskostenlawine, zu
erdrücken, noch eine dritte Logik, z.B. die Kriminalisierung der
Netzaktivisten, aufzurüsten. Dass eToys in der Kunstlogik nicht
gegenhalten konnte, wird ihnen keiner verübeln.
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Als ich, ohne einen der Beteiligten zu kennen, mit
"a new toy for you" den Kern der späteren RTMark_Kampagne
entwickelte (alles nachzulesen auf www.hygrid.de/etoyrhiz.html),
kam es darauf an, einen unbestechlichen Spiegel aufzustellen, der
die absonderlichen Spielzüge von etoy.arts und etoy.politics als
Marktwertverluste für eToys erscheinen lassen würde. Dieser Spiegel
war die Nasdaq-Notierung
von eToys, von der ich annehmen durfte, dass die ihren Auftrieb
beflügelnde Story sich erschöpft hatte und der Markt nur darauf
lauerte, einen nachhaltigen Abschwung einzuleiten. Den Fokus der
Kampagne auf die Vernichtung von eToys' Börsenwert zu richten, war
eine Spekulation auf eine Spekulation, eine Metastory, die dasselbe
noch einmal erzählte, wie die parallel und autonom auf Niedergang
programmierte Story. Wie etoy.arts die Domainnachbarschaft als
Werteffekt, so nutzte etoy.politics den Kursverfall als Kampfeffekt.
"To hype out the hype" tauften das Ricardo Dominguez und ich im
Thing-BBS-Chat.
Es war kein Hasard, sondern eine gepflegte Kalkulation: Das
Papier ging am 20. Mai an die Börse und ab 20. November drängten die
Insider in den Markt; der Kurs hatte die
Weihnachtsgeschäftserwartung antizipiert (eskomptiert, wie
Fachfrauen sagen) und bewegte sich bereits nach unten; alle
eRetailer gerieten unter Druck, weil die traditionellen
Handelsunternehmen elektronisch Fuß fassten. Und die Kampagne würde
soviel Wirbel erzeugen, dass die Mehrzahl der Neuinvestoren auf
Baisse setzen würde.
Etoy.arts war konzeptionell und juristisch glänzend aufgestellt.
Etoy.politics zog innerhalb von Tagen nach. Die Richtertinte war
kaum trocken, erfolgten die ersten Attacken auf eToys' Webseite. Die
spontane Selbstaktivierung Hunderter und das Tempo des
Informationsflusses waren Trumpf. Ein Ruhmesblatt unmoderierter
Mailinglisten wie Rhizome, wo mein urgently needed - 36
Minuten nach Empfang der Nachricht an nettime und 4 Minuten später
an Rhizome gepostet - längst eine Welle positiver Resonanz ausgelöst
hatte, als nettime-Moderator Ted Byfield mich wissen ließ:
"we don't send out stuff like this". Dabei kam doch alles darauf an,
sofort über eToys herzufallen und sie, die ohnehin mit dem
gigantischen Weihnachtsgeschäft an der Schmerzgrenze arbeiteten, bis
zur Besinnungslosigkeit mit Attacken einzudecken. Die auf Rhizome
subskribierte Medien- und
Netzkunstszene hatte das sofort begriffen und kurz nach "a new
toy" fand ich mich selbst in die mit Hochdruck arbeitende workgroup
der Künstlergruppe RTMark gehijacked.
EToys, dem zunächst die Eingabefelder der Webseite und dann die
Mailboxen des Managements mit Protesten zugepflastert wurden, und
das, mithilfe Richard Zachs
unschätzbarer Feedbackpage,
in einen verheerenden Pressestrudel gerissen wurde, musste
unmissverständlich klar gemacht werden, dass sie einem
kräfteaufreibenden Gegner mit Talenten zu großer Politik
gegenüberstanden. Etoy verdeutlichte das auf der juristischen Ebene,
RTMark auf der politischen, der Nasdaq-Börsenwert auf der
finanziellen und das virtuelle Sit-in auf der infrastrukturellen.
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Ein virtuelles Sit-in ist zunächst nichts weiter
als ein gemeinsamer Aufruf einer Webseite. Fordert man die Webseite
schneller an als sie sich aufbaut, erhält der Server einerseits die
Rückmeldung, dass die Seite nicht mehr gebraucht wird, und
andererseits die neue Anforderung. Skripte, die auf dem eigenen
Rechner oder auf zwischengeschalteten Servern laufen, automatisieren
diesen Prozess und ab einer gewissen Abfragemenge gerät der
attackierte Server unter Stress. Man muss nun sehr genau zwischen
einer aus privaten Motiven erfolgenden Lahmlegung eines Servers und
einer politischen Aktion unterscheiden, die offen, mit klar
formulierten Gründen und für eine begrenzte Zeit eine Webseite
stört. Es ist dann, einem Lohnrunden-Warnstreik vergleichbar, ein
Mittel zivilen
Ungehorsams, das der Gegenseite Un- und Kampfesmut signalisiert.
Ein virtuelles Sit-in riskiert, symbolische Aktionsformen im Medium
der Virtualität zur Geltung zu bringen.
Im Falle eToys wurde peinlich darauf geachtet, den Server nur
kurzfristig (sechs 15-Minuten-Perioden an zehn vorweihnachtlichen
Tagen) anzugreifen und unter keinen Umständen völlig außer Gefecht
zu setzen. Es gab ein "killerbullet script", das dazu imstande war,
und sein Einsatz wurde einhellig abgelehnt. Ein Beteiligter schrieb:
"I'm not ready to trade the distributed, swarming, community of
activists model for a single tactical nuke." Es ging um den
symbolischen Ausdruck der Breite des
Protests und nicht um einen Terroranschlag.
Über die Wirkung lässt sich folgendes sagen: Es gab weltweit
sieben oder acht rotierende Mirrors, auf denen fünf unterschiedliche
Skripte
liefen. Dazu kam eine größere Anzahl im Netz zirkulierender Tools,
die auf Heimcomputern installiert werden konnten. Allen gemeinsam
war, eToys' Server zur Abarbeitung von Routinen anzuhalten. Das
raffinierteste Skript war wahrscheinlich "killertoy.html", ein
nicht-lineares Skript, das cookies-basierte Warenkörbe unablässig
füllte, ohne jemals einen Kauf zu tätigen. Bei jeder Anfrage musste
der Server die ganze Liste neu durchrechnen, was mit zunehmender
Größe immer länger dauerte, generierten einzelne Mirrors ja über
hunderttausend Anfragen täglich. Die einfachen Seitenabrufe des
ersten Tags verarbeitete eToys' Server klaglos, die ausgefeilteren
Skripts ab dem zweiten Tag machten ihm dann schon zu schaffen.
Anfragen bestimmter IP-Adressen wurden komplett blockiert, wodurch
sich eToys aus diesen Netzen selbst herausnahm. Die
"super_plus_version" des virtuellen Einkaufsskripts war es dann, die
zur Schließung einer Thing-Website durch den
Backbone-Provider Verio führte. Auch hier hatte die
"hype-out-the-hype"-Strategie gegriffen, die den virtuellen
Einkaufskorb von eToys durch virtuelle Einkäufe immer weiter
virtualisierte.
Nicht weniger bedeutend war die kontinuierliche Präsenz in
sämtlichen mit eToys befassten Investorenforen.
Hier kam es zu atemberaubenden Diskursüberschneidungen. Anfangs
herrschte die Häme der Finanzwelt über die Trauergemeinde der
Domainverlierer. Das Vokabular des Investors ist aber schnell
gelernt und bald sahen sich die auf Hausse spekulierenden Aktionäre
mit jeder Menge negativer Finanzdaten konfrontiert. Als der Markt
unwiderruflich kippte, übertrumpften die auf Baisse setzenden
Investoren selbst die Tiefstapelei der Aktivisten.
Die Finanzpresse war so fest in eToys' Hand wie die Kulturpresse
in etoy's. Mit dem pikanten Unterschied, dass die eine Seite wie der
Teufel publizierte und die andere jede Publizität zu meiden
trachtete. So wand sich die Finanzpresse, die eToys dramatischen
Kursverfall ja nicht unkommentiert lassen konnte, um den Impact der
internet
renegades möglichst unsichtbar zu halten. Bis dann, nach eToys
erstem Einlenken, Bloomberg.com auf einmal eine komplette
RTMark-Presseerklärung brachte. "It's hysterical", mailte deren
Begründer.
Keine persönliche Begegnung, kein telefonischer Kontakt. Email
und Webseiten, sonst nichts. Heißlaufender Email-Verkehr am frühen
Abend und falls nötig am frühen Morgen. Dann Zeit zum Nachdenken.
Kurz nach Mittag Mails an Rhizome, damit die Ostküsten-Frühaufsteher
gleich im Bilde waren. Flow, wenn zehn bis zwanzig gleichzeitig
kommunizierten und Wissen um den Globus jagten. Jeder kann es, Du
auch.
E-Mail-Finish mit elektronischen Steinschleudern! Hunderte von
Toywar-Agenten nehmen das eToys-Management von Toywar aus unter
Beschuss!! Bedingungslose Kapitulation!!!
Tags darauf erschütterten uns 683 frische Särge. Die Särge
derjenigen, die die erste Toywar.Order nicht befolgten und es
unterließen, die geforderte Mahn-Mail zu schreiben. Die Scheintoten
von Toywar, die inzwischen wieder quicklebendig sind.
Wüsste gern, was Herr Weibel jetzt denkt. Am ZKM startete er mit
net_condition
und lud etoy, zu denen auch einer seiner Wiener Schüler gehört,
nicht einmal ein. Vielleicht hat der gescheite Mann geahnt, dass die
maßstabsetzende Ausstellung der net_condition ohnehin von etoy im
Netz ausgerichtet werden würde.
agent.nasdaq