eToys.com zieht die Klage gegen Etoy.com
zurück
Florian Rötzer 26.01.2000
"Ein totaler Sieg für die
Internetgemeinschaft"
Stolz verkündet Etoy in einer
Presseerklärung: "Totaler Sieg für das Etoy-Unternehmen und die
Internetgemeinschaft (die bewiesen hat, dass das Netz noch nicht in
der Hand der ECommerce-Giganten ist)." Am Dienstag wurde bekannt,
dass der Online-Spielehändler seine Klage gegen Etoy fallen lässt
und der Künstlergruppe 40000 Dollar als Entschädigung für
Rechtsanwälte und andere Ausgaben zahlt. Dafür wird die
Künstlergruppe ihre Gegenklage zurückziehen.
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Der für manche symbolische Domainnamenkonflikt zwischen einem
finanzstarken Unternehmen und einer Künstlergruppe ist damit
zugunsten der Internetgemeinschaft, man könnte fast auch sagen: der
alten Netzkultur, ausgegangen. Unterstützt wurde Etoy in ihrer
Kampagne von vielen Menschen auf der ganzen Welt. Auch Digerati wie
John Perry Barlow oder Douglas Rushkoff sahen in dem Konflikt einen
Wendepunkt in der Geschichte des Internet, das immer stärker vom
Kommerz überflutet wird, und solidarisierten sich mit der Gruppe,
die wiederum mit Email-Kampagnen, einem virtuellen Sit-in oder einem
Internetspiel auf der Website Toywar in die Auseinandersetzung
mit dem ECommerce-Unternehmen einstieg. Ein Gewinn für die
Künstlergruppe war sicherlich auch, dass sich RTMark in die Kampagne eingeschaltet
hatte.
Die Voraussetzungen des Unternehmens für einen Sieg im
Domainnamenstreit waren, obgleich das Gericht vorschnell eine
vorläufige Verfügung aussprach und Etoy.com den Domainnamen nicht
mehr benutzen konnte, eigentlich von vorneherein schlecht. Etoy
hatte schon lange vor eToys.com den Domainnamen registriert, es gab
keinerlei Versuche, den Namen an das Unternehmen zu verkaufen, man
weigerte sich auch, in Verkaufsverhandlungen einzusteigen, obgleich
eToys.com bis zu 500000 Dollar geboten haben soll. Neben
Cybersquatting warf eToys der Künstlergruppe vor, auf ihrer Website
so zu tun, als sei man ein Unternehmen, das Wertpapiere ausgibt, und
anstößige Inhalte zu veröffentlichen, die zufällig auf die Website
kommende Kunden des Spielzeughändlers verstören könnten. Auffällig
freilich ist, wie schnell das Gericht und auch Network Solutions,
die Etoy.com sogar ohne gerichtlichen Bescheid den Zugang zur Mail
sperrten, sich zugunsten des ECommerce entscheiden. Man wird sehen,
ob diese Voreingenommenheit auch bei den Prozessen gegen die
Websites durchschlagen wird, die DeCSS anbieten.
Immerhin wird jetzt Etoy die Domain wieder erhalten und muss
nicht einmal in dem Deal mit eToys die in der Klage beanstandeten
anstößigen Inhalte von der Website entfernen. "Es gibt kein quid pro
quo", sagt Chris Truax, der Rechtsanwalt von Etoy. "Das einzige, was
eToys davon zurückbehält, ist ein blaues Auge. Etoy gibt überhaupt
nichts auf." Für Wolfgang Staehle, Betreiber von The Thing, der Etoy
von Anfang an maßgeblich unterstützt hatte, zeigt der Erfolg, was
passieren kann, wenn "wir alle zusammenhalten". Die Kampagne wurde
immer größer und mächtiger: "Wir überlebten ihre brutale Macht.
Geist hat über das Geld gesiegt."
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Aus welchen Gründen eToys schließlich die Klage
ganz zurückgezogen hat, ist nicht bekannt. Die Kampagne zielte
primär darauf, dem Unternehmen wirtschaftlich zu schaden.
Tatsächlich sanken denn auch, zufällig oder nicht, die Aktienwerte
von eToys im Laufe der Kampagne ganz erheblich. Unklug war es
vermutlich auch, gerade in der Vorweihnachtszeit den Streit mit der
Künstlergruppe zu beginnen. Wahrscheinlich hat man auch nicht mit
der breiten Unterstützung von Etoy und der großen
Medienöffentlichkeit gerechnet.
Ob der "Toywar" eine Rolle gespielt hat, scheint eher fraglich zu
sein. Etoy jedenfalls führt den Erfolg auch darauf zurück: "Am
Montag, den 24.1.2000, lösten der Toywar-Krisenvorstand, die 1345
Toywar-Spezialagenten und Medienkämpfer einen weiteren Feuersturm
aus: innerhalb von ein paar Stunden explodierten viele hundert
Email-Toy-Bomben in den Gehirnen der Kunden, EShoppers, Broker und
nervösen Geschäftsleute auf der ganzen Welt. Niemand wurde verletzt,
aber die Botschaft machte ihre Runde und die Aktienwerte von eToys
sanken am Dienstag unter ihren ursprünglichen Wert von 20 Dollar auf
19,0625 pro Wertpapier." Zu Beginn der Kampagne stand der Kurs bei
noch bei 55 Dollar. Im Aufruf zu der Aktion, die vor der Bekanntgabe
des Finanzreports der Firma am Donnerstag gestartet wurde und die
Investoren in den Foren unter Druck setzen sollte, konnte man lesen:
"YOU REGISTERED AS A TOYWAR.com AGENT (LIKE 1345 OTHER BRAVE GIRLS
& BOYS DURING THE LAST FEW WEEKS) TO FIGHT FOR THE FREEDOM OF
ART, FOR YOUR LIFESTYLE AND FOR THE INDEPENDENCE OF THE DIGITAL
GENERATION." Ken Ross, ein Sprecher von eToys betonte, man sei mit
dem aktuellen Ergebnis der Verhandlungen zufrieden: "Wir hörten von
einer Menge von Leuten, und sie drängten uns mit überwältigender
Mehrheit dazu, eine Möglichkeit der Koexistenz mit Etoy zu finden zu
finden."
Der Kampf mit einem der größten Online-Händler habe, so Etoy,
viel Spaß gemacht und man habe viel dabei gelernt. Tatsächlich
wurden dabei neue Instrumente für den Internetaktivismus entwickelt.
So gab es beispielsweise zahllose Aktionen des "reflexive hacking"
oder eines simulierten Hacks, wie dies Reinhold Grether nennt.
Gemeint ist damit das Einbringen von ironischen Botschaften auf
eToys-Webseite, wodurch die "Interaktivität" der Website
umfunktioniert wurde (ein Beispiel findet sich hier). Durch ein solches
Lächerlichmachen sollte der Finanzreport des Unternehmens in den
Medien, wenn er denn gut ausfällt, unterlaufen werden. Und auf
Toywar wurde versucht, eine neue Aktionsplattform einzurichten, die
auch für künftige Internetkampagnen und schnelle virtuelle
Organisationsbildungen interessant sein wird.
RTMark-Sprecher Ray Thomas sieht in dem Erfolg einen Markstein
für die weitere Entwicklung: "eToys dachte, sie könnten so agieren,
wie dies große Unternehmen normalerweise machen, aber sie hatten
keine Vorstellung, wie das Internet funktioniert. Jetzt haben
ECommerce-Unternehmen die Wahl: sie können entweder einen
rechtlichen Würgegriff auf das Internet zu erhalten versuchen, so
dass diese Art der Abwehrreaktion nicht mehr möglich ist, oder sich
anständig gegenüber den Menschen verhalten, die dieses Medium zu
anderen Zwecken als dem Profit benutzen."
Für Reinhold Grether, der
maßgeblich die Kampagnen gegen eToys ausarbeitete, ist der Sieg der
Künstlergruppe das Brent Spar für den ECommerce: "Ebenso wie die
Ölindustrie gelernt hat, den Umweltschützern zuzuhören, haben die
ECommerce-Firmen jetzt gelernt, dass das Internet nicht ihnen gehört
und sie nicht alles, was sie wollen, machen können."