Die WTO schließt eine kritische Website, Hunderte neue
entstehen
Armin
Medosch 16.11.2001
Der Angriff der WTO auf die Parodie-Site Gatt.org
könnte zum Schuss ins eigene Bein werden
Die World Trade Organisation (WTO) kann
offenbar keine Kritik vertragen, schon gar nicht, wenn sie in Form
einer richtig lustigen Parodie daherkommt. Wie Telepolis berichtete,
versucht die WTO zu erwirken, dass eine Parodie-Site mit dem
Domainnamen gatt.org aus dem Verkehr gezogen wird. Den rechtlichen
Ansatzpunkt dazu liefert der Digital Millennium Copyright Act. Mit
dem Copyright als Hebel soll Kritik mundtot gemacht werden.
Am Montag dem 12. November erhielt Jonathan
Prince, Inhaber der Domain Gatt.org, ein Schreiben von seinem
Provider Verio. Darin erklärt Verio, dass die WTO "in
Übereinstimmung mit dem Digital Millennium Copyright Act" verlangt,
dass Prince das markenrechtlich geschützte Logo der WTO und anderes
urheberrechtlich geschütztes Material von der Gatt.org-Website nimmt. Sollte das
nicht bis Dienstag den 13. November 17:00 Uhr geschehen, sehe sich
Verio gezwungen, die Site vom Netz zu nehmen. Die Site gatt.org
ähnelt der Site der WTO äußerlich, transportiert aber eine 180°
entgegengesetzte Botschaft.
Die Initiative der WTO, genau zu dem Zeitpunkt, als in Doha die
Konferenz der Mitgliedsstaaten über die Eröffnung einer neuen
Welthandelsrunde stattfand, ist allerdings verwunderlich. Denn die
WTO weiß seit zwei Jahren von der Existenz der Site, als sie in
einer Verlautbarung
angab, dass die Site die Benutzer absichtlich täuschen würde. Zudem
wird die WTO nicht müde zu erklären, dass sie nichts gegen "ehrliche
Kritik" einzuwenden habe.
"Es ist der Krieg", meint hierzu Jonathan Prince, "Bush hat Null
Toleranz populär gemacht und jetzt herrscht Jagdsaison auf jede Form
von Dissenz. Deshalb hat die WTO beschlossen, genau zu dem
Zeitpunkt, wenn sie sich in Doha für ihre Konferenz treffen, eine
Website anzugreifen, um von ihren Problemen abzulenken." Die
umkämpfte Website ist zwar unter dem Namen Jonathan Prince
eingetragen, doch dieser betreibt sie gar nicht inhaltlich. Das
besorgt die Organisation RTMark. Diese sagen von sich selbst,
ihr erstes Ziel sei es, "die unternehmensgesteuerte Unterwanderung
des demokratischen Prozesses" aufzeigen zu wollen. Deshalb verstehe
man sich als ein Clearing-house für Projekte gegen korporativen
Machtmissbrauch.
Im Sinne dieser Clearinghouse-Funktion
betreibt nun RTMark die Gatt.org-Site auch nicht selbst, sondern hat
das an eine Gruppe namens Yesmen (die "Ja-Sager")
delegiert. Die Yesmen versuchen nun mit phantasievollem Protest auf
die Bedrohung zu antworten. Sie haben eine Software geschrieben,
die das automatische Remixen von Werbsites ermöglicht. Jeder mit
Zugriff auf einen Unix-Server könne damit ständig aktuelle Parodien
von Sites wie WTO oder IMF erzeugen. Die Philosophie dahinter: Wird
eine kritische Website abgewürgt, entstehen Hunderte neue.
Jonathan Prince findet die Software der Yesmen zwar interessant,
doch hält das nicht für die richtige Lösung. Ihm geht es um
Grundsätzlicheres. Die undemokratische und niemandem zur
Rechenschaft verpflichtete WTO würde in diesem Fall die Verfassung
der Vereinigten Staaten mit Füßen treten. Doch dasselbe täten sie
jeden Tag in der Dritten Welt oder würden Unternehmen dazu Tür und
Tor öffnen, erklärte Prince.
Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels war gatt.org noch
online. Mit der Erfahrung, die RTMark im Betreiben medienwirksamer
Kampagnen besitzen, zum Beispiel als einer wichtigsten Teilnehmer im
"Toywar" zwischen der Künstlergruppe Etoy und dem (inzwischen Pleite
gegangenen) E-Commerce-Unternehmen eToys, könnten noch einige
interessante Wendungen bevorstehen. Direkt an der Frontlinie stehen
zwar die Yesmen, doch ein Sprecher von RTMark sagte gegenüber
Telepolis, er finde die Situation "recht amüsant".