WTO-Konferenz: Scharmützel im WWW
Armin
Medosch 15.11.2001
Virtuelle Blockade-Site und Lobby-Unterstützung der
Globalisierungsgegner im Web, während die WTO versucht, eine lästige
Parodie-Site loszuwerden
Zeitgleich zu den Verhandlungen in Doha
über eine neue Verhandlungsrunde zur weiteren Liberalisierung des
Welthandels im Rahmen der World Trade Organisation (WTO) kam es auch
im World Wide Web zu Protestaktionen. Eine nicht näher genannte
Organisation rief zu einem virtuellen Sit-in auf, das jedoch nur
geringe Unterstützung fand. Die Electrohippies, die 1999 während der
gescheiterten Seattle-Konferenz öffentlichkeitswirksam die Server
der WTO bestreikten, gaben sich ein eher gemäßigtes Stelldichein mit
einer Informationswebsite und Aufrufen, Lobby-Schreiben an
zuständige Politiker zu verfassen. Und die WTO ging in die
Gegenoffensive, indem sie versuchte, eine unliebsame Parodie-Site
aus dem Web zu verdrängen.
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Wenn Global Action Days ausgerufen werden,
wobei es zeitgleich in vielen Ländern Protestaktionen
gegen die neoliberale Globalisierung gibt, dann gehört es
schon fast zum guten Ton, dass auch im WWW Action stattfindet.
Doch die Action fiel diesmal vergleichsweise zahm aus, was
möglicherweise den neuen Geist der Zeit wiederspiegelt. |
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Eine sich nicht näher deklarierende
Initiative rief via einer Geocities-Website zu
einem virtuellen Sit-in gegen die "korporative Globalisierung" auf.
Wie dort erklärt wird, verursacht das Aufrufen einer bestimmten
Website, dass damit ein Script ausgelöst wird, das HTTP-Requests an
den Server wto.org stellt. Abgerufen werden soll eine Seite namens
'people_before_profit', doch diese existiert auf dem WTO-Server
nicht. Die Anfragen nach der nicht existenten Page erfolgen, solange
die Protestseite geöffnet bleibt. Wenn sich eine große Zahl von
Usern dem Protest anschließt, könnten damit die Server der WTO
verlangsamt werden. Doch bereits die Erklärungen auf der Website
geben sich vorsichtig.
Das Ziel der Aktion sei nicht destruktiv, sondern symbolisch,
heißt es da. Es ist also nicht die Absicht, WTO.org im Stile einer
Denial-of-Service-Attack gänzlich in die Knie zu zwingen, sondern
man will damit vor allem Präsenz zeigen, begleitend zu den
physischen Protesten der Teilnehmer an den Global Action Days
zwischen dem 9. und 13. November. Die Zahl der Teilnehmer am
virtuellen Protest wurde brav aufgelistet: 230 am 10.11., 359 am
11.11. und 231 am 12.11., die zusammen insgesamt 14,120 Seitenabrufe
auf http://www.wto.org/ verursachten. Das
wird von den Heavy-duty-servern der WTO nicht einmal als ein laues
Lüftchen wahrgenommen worden sein.
Ähnlich vorsichtig, aber taktisch ganz
anders zeigte sich die Vorgehensweise der Electrohippies im Rahmen
der WTO-Proteste. Die Electrohippies waren vor zwei Jahren kurz vor
Seattle auf der Bildfläche
erschienen. Damals hatten sie vom Electronic Disturbance Theatre
entwickelte Software benutzt und weiterentwickelt, um zum
elektronischen Massenprotest gegen die WTO-KOnferenz aufzurufen.
Dieses Mal agierten die Electrohippies entschieden low key.
Eigentlich sind ihre Energien auf eine Protestaktion im Internet
gegen den "War Against Terrorims" gerichtet, die heute, am 15.
November, beginnen soll. Nur auf Grund "starken öffentlichen
Interesses" hätten sie sich, eigener Auskunft zu Folge, an den
Doha-Protesten beteiligt.
Zu diesem Zweck haben sie eine Website
aufgesetzt, die in erster Linie Information und eine Menge Links
bietet. Als konkrete Handlungsmöglichkeit offerierten sie die
Websites und E-Mails des zuständigen US-Büros für
Handlesangelegenheiten und des EU-Kommissars
für Handel , Pascal Lamy, an, verbunden mit der Aufforderung,
ihnen E-Mails zu schicken.
Diese Vorgehensweise mag im Falle der Electrohippies damit
zusammenhängen, dass ihr Schwerpunkt bei der heute beginnenden Aktion gegen den
Krieg gegen Terrorismus zu finden ist, die mit Spannung zu erwarten
sein wird. Es mag aber auch damit zu tun haben, dass die
Netzaktivisten vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte ganz
bewusst einen anderen Ton anschlagen, weniger konfrontativ, weniger
destruktiv auf das Abwürgen von Servern und mehr auf Information und
Teilnahme ausgerichtet. Man möchte mit diesen Aktionen, die von
ihren Protagonisten selbst als legitimer
politischer Protest im elektronischen Kommunikationsraum
verstanden werden, nicht in die Nähe terroristischer Handlungen
gerückt werden können. Großbritannien hat bereits ein Gesetz, dem zu
Folge Hacking als Terrorismus interpretiert werden kann. Eine der an
der Online-Demonstration gegen die Lufthansa beteiligten Gruppen,
Libertad, musste kürzlich eine Razzia und die Beschlagnahmung von
Computern und Dokumenten über sich ergehen
lassen. Online-Proteste sehen sich zunehmend der Gefahr einer
pauschalen und unausweichlichen Kriminalisierung ausgesetzt.
Ebenfalls mitspielen mag die Tatsache, dass
Denial-of-Service-Attacks so eine hohe Medienresonanz erzielt haben,
ebenso wie eine scharfe Gegenreaktion von Strafverfolgern.
Distributed-Denial-of-Service-Attacks können extrem effektiv sein,
auch gegen bestens geschützte Server. Doch solche Angriffe werden in
der Regel von anonymen Tätern ohne klare politische Zielsetzungen
ausgeübt und meist sogenannten Script kiddies zugeschrieben.
Solche Handlungen werden von den Behörden als klare Fälle von
Computerkriminalität betrachtet. Netzaktivisten wie die
Electrohippies hingegen scheuen nicht davor zurück, sich auch
öffentlich als Personen zu exponieren. Sie verbinden ihre Aktionen
mit deklarierten politischen Anliegen (z.B. DoS-Aktion
der Electrohippies gegen Gentechnik) und wollen Formen
virtuellen Protests, wie gesagt, als Ausdruck legitimen politischen
Protests verstanden wissen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung im
Netz und ein Verständnis des Netzes als öffentlicher Raum, in dem es
somit auch eine Form von Versammlungsfreiheit geben muss, werden von
ihnen als Legitimation herangezogen. Verschiedene neue
Gesetzgebungen auf nationaler und multilateraler Ebene hingegen
trachten danach, jede Störung im Informationsverkehr als
verbrecherischen Akt einzustufen. Umso wichtiger wird es für
Netzaktivisten, sich mit ihren Handlungen auch formal von den
Vandalenakten mit DDoS-Attacken um sich werfender Script
kiddies abzusetzen.
Wenig Skrupel hinsichtlich ihrer öffentlichen Wahrnehmung zeigte
hingegen die WTO selbst, die laut einem Bericht
von Indymedia in der Vorwoche versuchte, eine lästige
Parodie-Site abzuschalten. Die Website Gatt.org - nach dem Vorgänger des
WTO-Abkommens, dem GATT-Abkommen benannt - ist alles andere als eine
offizielle Web-Repräsentation der WTO. Der Domainname gatt.org
gehört einem amerikanischem Web-Journalisten und
Streaming-Media-Spezialisten. Inhaltlich bespielt wird die Site aber
von den Coroporate-Subversionspraktikern RTmark. Für RTmark typisch, ähnelt
gatt.org äußerlich fast haargenau der offiziellen WTO-Website.
Inhaltlich bietet die Site jedoch scharfe Anti-Propaganda, bis hin
zu dem Hinweis am Fußende der Homepage, dass es eine Fake-Site gebe,
die der eigenen zum Verwechseln ähnlich sehe - und der Link von
diesem Hinweis führt dann auf die offizielle WTO-Website.
Mit einer "Cease and desist order" (Aufforderung zur Unterlassung
und Einstellung) an die Registratur Verio Inc versuchte die WTO das
Kommunikationsdienstleistungsunternehmen zu bewegen, die Site aus
dem Verkehr zu ziehen. Als Begründung dient die Verletzung von
Urheber- und Markenrechten, weil die Parodie-Site Elemente
verwendet, die von der WTO markenrechtlich geschützt wurden. Laut
dem 1998 verabschiedeten Digital Millennium Copyright Act liegt in
einem solchen Fall, den Ausführungen von Indymedia zu Folge, die
Beweislage beim Angeklagten. Wenn eine "Cease and desist order" von
einem Gericht ausgeschrieben wurde, müsste die Website eigentlich
abgewürgt werden, und es liegt an ihren Betreibern zu beweisen, dass
keine Verletzung des Urheberrechts begangen wurde. Zum Zeitpunkt des
Verfassens dieses Artikels war gatt.org jedoch noch online. Ob, in
welcher Form und durch wen der Kampf gegen diese Verfügung nun
aufgenommen wird, konnte Mangels an Reaktionen der Betroffenen zum
gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht eruiert werden.
Während sich diese Scharmützel, die alle
kaum Aufmerksamkeit in den Medien fanden, im und um das WWW
abspielten, rangen sich die Mitgliedsstaaten der WTO in Doha zu
einem Kompromiss durch (siehe www.wtowatch.org/). Das
bedeutet, dass es eine neue Runde über eine zukünftige
Welthandelsordnung geben wird. Nur Indien widersetzte sich bis
zuletzt als hartnäckiger Dissident, entschied sich aber dann dafür,
sich der Stimme zu enthalten und seine Bedenken in einem eigenen
Statement, sozusagen als Anhang zu der Erklärung von Doha,
hinzuzufügen. Die geringe mediale Aufmerksamkeit für die Kämpfe im
WWW, aber auch für die Doha-Konferenz selbst, hat sicherlich damit
zu tun, dass der Krieg in Afghanistan in den letzten Tagen eine
dramatische Wendung erfahren hat. Doch es mag auch im neuen Geist
der Zeit liegen, dass nicht einmal die Businesspresse und die
Nachrichtenagenturen so richtig über den Sieg der weiter
fortschreitenden Globalisierung zu jubeln vermögen. "Millionen an
Arbeitnehmern könnten ihre Jobs verlieren, Millionen anderer neue
Arbeit finden, da ganze Industrien aufsteigen und untergehen, in
Folge von Marktöffnungen, die in Doha auf den Weg gebracht wurden,"
schrieb die
internationale Nachrichtenagentur Reuters in London.