Anarchisten und Autonome halten die Protestbewegung gegen
die Globalisierung am Leben
Max Böhnel
01.02.2002
Relativ ruhig begann das gut gesicherte
Weltwirtschaftsforum in New York
Schwarze Panzerglas-Limousinen,
Bürstenschnitt-Rambos mit ausgebeulten Anzügen und Knopf im Ohr,
sandbeladene LKWs quergestellt auf der Avenue, Uniformierte der New
Yorker Polizei an jeder Straßenecke, Machinenpistolen, genervte
Passanten - und das alles im Nieselregen. Für New York, wo alle paar
Tage ein Präsident oder eine Weltkonferenz "gesichert" werden muss,
eigentlich nichts Besonderes. Aber es geht um das Treffen des "World
Economic Forum" ( WEF), das von Donnerstag bis
Montag tagt, und wir befinden uns in Amerika "post-9-11" ( New
Yorks Polizei rüstet sich für die Proteste gegen das
Weltwirtschaftsforum).
Der Reporter der "New York Times" fühlte sich am Eröffnungstag
"auf der Höhe der Zeit": Polizeibarrieren und Betonabsperrungen,
Blinklichter und blaue Uniformen draußen vor dem "Waldorf Astoria",
drinnen eher "wie ein Sommerlager", wo sich alte Bekannte
wiedertrafen.
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Many who arrived for the opening of the World
Economic Forum in Manhattan today have attended the forum
before, and they dropped their satchels and attache cases to
clasp a hand and slap a shoulder. Many were men who had the
air of power and money, but there were also third world
diplomats, women business executives, clergy, academics and
journalists. |
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Das 31. WEF-Jahrestreffen findet zum ersten Mal außerhalb der
Bergwelt des Schweizerischen Davos statt. Den Behörden des
Alpenstaates waren die finanziellen und politischen Kosten für die
Sicherheit dieser Privatparty zu teuer geworden. Die Stadt am Hudson
River bot sich als Ausweichort an, wie WEF-Chef Klaus Schwab, der
sich am 11. September in der Stadt aufhielt, Pressenberichten
zufolge sofort eingefallen war. Der damalige Bürgermeister Giuliani
sagte nach Konsultationen mit Sicherheitschefs umgehend zu.
Die Gästeliste umfasst Leute wie Bill Gates, Steve Forbes, Quincy
Jones, Gerhard Schröder, Colin Powell, Peter Gabriel, Desmond Tutu,
Schimon Peres und Samuel Huntington. Der "New York Times"-Reporter
wusste von rund 2.500 Teilnehmern, die Mehrzahl - etwa 1.000 - aus
den Vorstandsetagen von Großfirmen, aber auch 40 Vertreter von
religiösen Gruppen, 200 von Think Tanks und wissenschaftlichen
Einrichtungen, 350 Nachrichtenjournalisten und 40
Gewerkschaftschefs. Wer dabei sein will, muss 25.000 Dollar für die
Jahresmitgliedschaft und noch einmal 6.000 Dollar Konferenzgebühr
bezahlen.
Aber nicht alle sind eingeladen. Beispielsweise mussten Vertreter
von "Enron", des bankrotten Energiekonzerns, draußenbleiben. Ihre
Präsenz würde wohl den Glanz des WEF trüben ( Die
Bush-Administration: Full of Energy!).
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Gut bewacht. Foto:
Indymedia |
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Das WEF-Programm umfasst neben hochtrabend
klingenden "Perspektiv"-Veranstaltungen, auf denen etwa Erzbischof
Desmond Tutu und Elie Wiesel über "the politics of apology" oder
MacDonalds-Chef Jack Greenberg über "understanding global anger"
referieren, auch reines Amusement, bei dem Cocktail trinkend
Schwätzchen gehalten und Ideen sowie Visitenkarten ausgetauscht
werden. Die Eintrittskarte sei ihren Preis wert, verriet ein
libanesischer Geschäftsmann. Auf einem anderen Weg mit vielen seiner
Gesinnungsgenossen zusammenzutreffen. sei noch teurer.
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The Coca-Cola Company hosts its annual soiree
in the Four Seasons Restaurant. Other companies have booked
landmarks like Le Cirque 2000, and Goldman Sachs & Company
has reserved the Rainbow Room for a Super Bowl on Sunday. |
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Mostly
Quiet, resümierte die "New York Times" den ersten WEF-Tag in
einem eher dümmlichen Artikel, die Proteste gegen die Tagung seien
bisher nur klein geblieben und "nicht von Gewalt geprägt" worden.
Der Artikel reihte sich ein in eine Serie von kaum aufklärenden
Medienberichten über die zu erwartenden Proteste. Darauf hatte schon
Anfang der Woche die medienkritische New Yorker Organisation Fair hingewiesen, die neben der "New
York Times" die drei großen Lokal- und Regionalblätter analysiert.
Der Fernsehsender ABC leistete sich ein Bubenstück, indem er
eigenen Worten zufolge ein "Undercover Team" mit einer Kamera in
eine Trainingssession von Globalisierungsgegnern einschleuste und
die zu erwartenden Ergebnisse - potenzielle Demonstranten erörtern
den Gebrauch von Gasmasken und die Abwehr von Angriffen der Polizei
- als Beweis für die Gewaltbereitschaft der Globalisierungsgegner
präsentierte.
ABC soll in den kommenden Tagen deshalb boykottiert werden.
Eine rühmliche Ausnahme in der Berichterstattung bildete die
jüngste Ausgabe der Village Voice. In ihrer
Titelgeschichte erläutert die Wochenzeitung, dass vor allem
Anarchisten und Autonome die Protestbewegung gegen die
Globalisierung der "freien Marktwirtschaft" am Leben halten.
Tatsächlich haben der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO, Gruppen wie
"Drop the Debt" und Nichtregierungsorganisationen wie "Global
Exchange" und das "Rain Forest Action Network" die zentrale
Demonstration am Samstag, die vor dem "Waldorf Astoria" enden soll,
nicht mit unterstützt.
Vorgeblicher Grund: das Vorbereitungsbündnis Another World is
possible könne nicht garantieren, dass es nicht zu
Ausschreitungen kommen werde. Die New Yorker Polizei kündigte an,
jeglichen Regelverstößen - etwa das Überqueren von Fußgängerampeln
bei Rot - mit "Zero Tolerance" zu begegnen. Außerdem werde sie bei
Vermummung von Demonstranten sofort mit Festnahmen reagieren. Dabei
beziehen sich die Behörden auf ein Gesetz aus dem Jahr 1845, das
gegen Bauern, die verkleidet protestierten, erlassen worden war. Das
Gesetz ist allerdings wegen des "Rechts auf freie Meinungsäußerung"
umstritten. 1999 war es von einem Bundesgericht bestätigt worden,
nachdem Anhänger des Ku Klux Klan das Recht auf Vermummung
eingeklagt hatten.
Erste gewaltfreie Proteste endeten am Donnerstag im gar nicht so
nicht gewaltfreien Zugriff der Staatsdiener. Sieben Mitglieder von
der Aktionsgruppe Act Up wurden im Morgengrauen
festgenommen, als sie an zwei verschiedenen Orten in Midtown und
Downtown Manhattan versuchten, auf die Politik von Großkonzernen und
ihre Verantwortung für die globale AIDS-Krise hinzuweisen.
Inzwischen sind sie wieder frei gelassen worden.
Erfolgreich und - bislang ohne Repression - verläuft ein
virtueller Streik
gegen WEF-Webseiten ( Websites
des Weltwirtschaftsforums lahm gelegt). Und neben traditionellen
Protestformen wie Demonstrationen und gewaltfreien Straßenblockaden
wollen Globalisierungsgegner neue Aktionsformen - "virtuell" wie
"real" - erproben.
Da gibt es die WEF-Parodie-Software der
"Yes Men" mit der neuen 2.0-Version von Reamweaver, Anleitungen zur Abschaltung) von
Überwachungskameras
in Manhattan. Wie mit Fahrrädern auf der Strasse Graffiti gemalt
werden können, erprobt ein "Project BIKE", und ein Project
PRTE stellt "funktionale Protestmode" her, die angeblich nicht
nur gut aussehen, sondern auch Schutz vor Polizeiknüppeln bieten
soll. Angeblich sind sogar Miniatur-Viedokameras und -Transmitter in
das "Pret-a-Revolter-Design Civil Disobedience Equipment" eingebaut.
Einen ersten öffentlichen Protest-Auftakt wollen die
Globalisierungsgegner heute, am Freitag Abend, am Union Square mit
einer Mahnwache setzen.