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Wenn Barbie plötzlich töten will
Der Probelauf des Mediaspace im Stuttgarter Filmhaus beim ¸¸Filmwinter''
Grabmal, das Wort verdreht sich hier zu neuer Bedeutung: Grab mal im Leben von Teena Brandon, wühle dich durch die Fakten ihrer Ermordung. Das fordert das Netzprojekt ¸¸Brandon" (http://brandon.guggenheim.org), das erste des Guggenheim Museums New York und einer der Multimedia-Wettbewerbsbeiträge beim ¸¸Filmwinter'' in Stuttgart. Teena Brandon, diese zwischen Mann und Frau wechselnde Person, ist 1993 vergewaltigt und ermordet worden - und ist damit nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch auf dem Medienmarkt zur öffentlichen Figur geworden. Shu Lea Changs brillante, in Bewegung befindliche Collage aus Splittern der Biographie Brandons, aus Elementen der medizinischen, kriminaltechnischen und soziologischen Kategorisierung (Seziertische, Schnittbilder, Texte zu Hermaphroditen), aus Motiven der Pornoindustrie und aus Grafik-, Ordnungs- und Kommunikationsmustern der Netzwelt selbst (Werbebanner, Suchmaschinenseiten, Chat-Fetzen) ist ebenso ästhetisch wie verstörend.
Sie bietet nicht nur ein beiläufiges Klicken, sondern eine Navigation mit der Maus, die mal durch bloßes Erreichen bestimmter Bereiche das Bild verändert, mal aber erst nach erfolgreichem Jagen flüchtig auftauchender Motive Verzweigungen erlaubt. So übt sie zwar scharfe Kritik an der Verwandlung von Gewalt und Verbrechen in Attraktionen des Medienzirkus', macht uns aber gleichzeitig bewußt, welche voyeuristische Energie auch in uns am Werk ist. Solche Projekte zu entdecken, wäre schon genug Verdienst des Multimedia-Bereichs beim ¸¸Filmwinter''. Aber in diesem Jahr hatten die Veranstalter vom Verein ¸¸Wand 5'' viel mehr vor, als ein paar Browserfenster ins weltweite Netz zu öffnen. Sie mußten vielmehr aufzeigen, was der Umbau des Erdgeschoßsaales im Filmhaus zu einem sogenannten ¸¸Mediaspace'' bringen könnte - ohne die Technik für diesen Bereich bereits zur Verfügung zu haben.
Von Immersion, vom Eintauchen der Nutzer in virtuelle Welten, handelten etliche Vorträge, von der Cave-Technik etwa. Einen solchen Raum, in dem drei oder gar sechs Wände als Projektionsflächen für Computerbilder dienen, die mit Hilfe von Spezialbrillen als dreidimensional wahrgenommen werden können, werde es im Stuttgarter Filmhaus eh nie geben, könnten Pessimisten nun sagen und abwinken. Das stimmt zwar vermutlich, aber man erfuhr dennoch Verblüffendes auf dem Filmwinter. Gerade mal vierzig Caves sind weltweit in Betrieb, zehn davon in Deutschland, vier davon bei öffentlichen oder halböffentlichen Institutionen, zwei davon in Stuttgart: eine Cave am Rechenzentrum der hiesigen Universität, die andere, die während des Filmwinters in Aktion zu erleben war, am Fraunhofer Institut in Stuttgart-Vaihingen.
Der Vorschlag, im Filmhaus einen Ort steter Reflexion und Präsentation neuer Medien einzurichten und ihn per Internet weltweit zugänglich und zum wichtigen Knoten des Informations- und Gedankenaustausches zu machen, erscheint da in neuem Licht: dem nämlich, wie dringlich die Nachrüstung des längst Vorhandenen ist.
Was man sich unter einem Mediaspace als Schnittstelle zwischen Internet und Realwelt vorstellen kann, hat der Auftritt von ¸¸Rtmark.com'' gezeigt. Das ist ein besonders freches Projekt im Internet, das gesellschaftskritischer Aktions- und Sabotagekunst gewidmet ist und Ideen, Geldgeber sowie Saboteure auf einem Schwarzen Brett zusammenbringt. Eine Aktion der Gruppe war der heimliche Austausch der Sprachchips von ¸¸Barbie''- und ¸¸GI-Joe''-Puppen: in manchen Kinderzimmern bettelt nun der plastikmuskelpralle Tötungsexperte ¸¸Laß uns einkaufen gehen'', und die blonde Konsumfee knurrt martialisch ¸¸Tote lügen nicht''.
Beim Liveauftritt präsentieren sich die beiden ¸¸Rtmark''-Vertreter - ¸¸keine Namen, Sabotage braucht Schutz'', lautet ihr Motto - wie die Einpeitscher neuer Businessmethoden. Sie verwenden satirisch Sprache und Methoden jener Großkonzerne, denen sie die Lenkung des gesellschaftlichen Diskurses vorwerfen. Wenn sie eine Power-Point-Präsentation vorführen, also jenes Microsoft-Werkzeug nutzen, mit dem sonst Anlegermodelle an Tagungsraumwände geworfen werden, dann geht das über Kabarett hinaus: ¸¸Rtmark'' versteht sich - hinter dem galligen Spaß - auch ganz ernstlich als Anlegermodell für Risikokapital.
Wenn die Kunst- und Rabatzmacher, wie jetzt im Stuttgarter Filmhaus, hinter ihrer Website hervortreten, dann ist das ein wichtiger Moment der Konkretisierung. Es geht, so bedeuten sie, nicht um eine vorläufige Spielwiese im Netz, sondern um die reale Welt, in der ¸¸Barbie''-Puppen ein Rollenverhalten lehren. Ein ¸¸Mediaspace'', das öfter solch provokante und bissige Kunst präsentieren kann, ist demnach eine lohnende Investition: der Nutzen ließe sich wahrscheinlich sogar als eine Power-Point-Präsentation darstellen.
Von Thomas Klingenmaier
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