teleflor

Inhalt A-Z|Sitetour|Hilfe|Wir über uns|E-Mail|Suche
AktuellesWirtschaftMarktServiceKulturWissenReisenSpassSport

BerlinOnline

Politik  
Thema heute  
Meinung  
Berlin wählt  
 
Titelseite  
Newsletter  
Archiv  
Leserbriefe  
Probe-Abo  
Leser-Service  
Kleinanzeigen  
 
Ticker: Politik  
Ticker: Thema  
Brennpunkte  
Hyperlinks Zeitungen  

seite_3 Berliner Zeitung
Samstag, 08. September 2001
Lesen sie auch:
Nächste Konferenz in Katar
EU will neue Standards im Welthandel
   

Hochstapler ohne Grenzen

Die "Yes Men" sind Globalisierungsgegner. Sie geben sich als Vertreter der Welthandelsorganisation WTO aus, halten absurde Vorträge - und niemand merkt etwas

Tilman Baumgärtel

BERLIN, 7. September. Zum Abschluss des Vortrags streifte ein Assistent dem Redner den schwarzen Abendanzug ab. Darunter kam ein hautenges, golden glänzendes Kostüm zum Vorschein. Der Referent riss die Arme hoch, da erhob sich zwischen seinen Beinen ein längliches Objekt, das aussah wie... nun ja, wie ein Phallus mit einem eingebauten Monitor. Dieser Mann sollte ein Vertreter der World Trade Organisation (WTO) sein?

Die Finnen haben es geglaubt. Brav applaudierten 150 Zuschauer bei einer Veranstaltung der Technischen Universität Tampere dem Referenten in dem merkwürdigen Kostüm, der angeblich von der Welthandelsorganisation kam. Hank Hardy Unruh, wie er sich vorstellte, sprach bei der Konferenz "Fasern und Stoffe für die Zukunft". Zwei Tage nach dem befremdlichen Auftritt berichtete "Aamulehti", die zweigrößte Zeitung Finnlands, in einem Artikel über die Vorstellung, die Unruh gegeben hatte. Neben dem Text war ein großes Foto von Unruh, das ihn in seinem Anzug zeigte. Dies sei, so hatte der amerikanische Spezialist erläutert, ein neuartiges Kleidungsstück, mit dem Manager in der Freizeit jederzeit Kontakt mit ihrem Unternehmen herstellen können. Über Funkverbindungen würde der "Management Leisure Suit" die neuesten Informationen über Produktivität, Krankenstand und Börsennotierung der Firma empfangen. Unruh: "Die Technologie, mit der so ein Anzug geschaffen werden kann, existiert schon heute."

Für Frauen ungeeignet

Keiner der Teilnehmer oder der Organisatoren der Konferenz kam auf die Idee, dass es sich bei dem Referenten um einen Witzbold oder gar um einen Schwindler handeln könnte. Kritik an dem Vortrag gab es nicht. Lediglich eine Teilnehmerin wandte ein, dass das Kostüm wegen seiner eigentümlichen Form für Managerinnen ungeeignet sei.

Um es kurz zu machen: Es gibt gar keinen Hank Hardy Unruh, schon gar nicht bei der WTO. Der Mann, der in Finnland auftrat, will zwar seinen wahren Namen nicht nennen. Aber er gibt auf Nachfrage gerne zu, dass er politischer Aktivist und Mitglied der "Yes Men" (Ja-Sager) sei. Die präsentieren sich als "Gruppe von Hochstaplern auf der ganzen Welt", die sich "jedes notwendigen Mittels bedienen, um in die abgeschiedenen Zirkel der Finanzwelt vorzudringen. Dort stellen sie dumme Fragen und schmuggeln die Geschichten ihrer Eskapaden hinaus, um die Öffentlichkeit zu informieren."

Die Einladungen zu den hochkarätigen Treffen erhalten die Ja-Sager über ihre Website http://www.gatt.org/. GATT - das General Agreement on Tariffs and Trades - wurde 1994 von der WTO abgelöst, und die GATT-Homepage sieht auf den ersten Blick aus wie die Website der WTO. Nur wer genauer hinsieht, entdeckt, dass sie vor allem Anti-Globalisierungs-Informationen enthält.

Professor Pertti Nousianine von der Universität Tampere hatte über die Website per E-Mail eine Einladung an den WTO-Vorsitzenden Michael Moore geschickt. Der sagte höflich ab, und kündigte als seinen Stellvertreter Mr. Unruh an. Der pries in seinem Vortrag, unterstützt von einer perfekten Computershow, den freien Markt.

Dann verstieg sich der Vortragende zu der Theorie, dass der amerikanische Bürgerkrieg "eine gigantische Geldverschwendung" war. Wenn man die Südstaaten "dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen hätte", wäre die Sklaverei von selbst abgeschafft worden. Präsident Abraham Lincoln hätte nur auf kriminelle Weise in die Handelsfreiheit der Südstaaten eingegriffen. Auch der indische Freiheitskämpfer Ghandi blieb nicht verschont: er habe durch sein Handeln vor allem die Freizügigkeit des indischen Marktes behindert.

Schon vor dem Auftritt in Finnland haben die "Yes Men" ihre merkwürdigen Ansichten bei öffentlichen Veranstaltungen im Namen der WTO vortragen können: Bei einer Konferenz von Wirtschaftswissenschaftlern in Österreich erklärte ein "Dr. Bichlbauer" dem verblüfften Publikum, dass die WTO dafür sei, nur noch Großkonzernen das Wahlrecht einzuräumen. Bei einer Diskussionsrunde auf CNN sagte ein angeblicher WTO-Vertreter, dass seine Organisation sich an Charles Darwin orientiere und Globalisierungsgegner in Umerziehungslager gehörten: "Wir finden, dass sich diese Leute zu sehr an der Realität orientieren."

Vor dem nächsten Einsatz

Für den "Yes Men", der in Finnland als Mr. Hank Hardy Unruh auftrat, sind diese Aktionen "weder Streiche noch Performance-Kunst. Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, unter dem Namen der WTO gefährliche Ideen zu propagieren. Und wer genau zuhört, wird merken, dass diese Ideen im Grunde nur die logischen Konsequenzen von dem sind, was die WTO schon propagiert."

Der nächste Einsatz der "Yes Men" ist für eine Konferenz mit dem Titel "Geschäfte ohne Grenzen" geplant. Wo diese stattfinden soll, wollen sie natürlich noch nicht sagen. Aber auf die vierhundert Zuhörer, denen sie dort den "offiziellen Standpunkt der WTO" erläutern können, freuen sie sich jetzt schon.



DruckversionSeite versenden HilfeWir über unsE-MailSucheSeitenanfang
http://www.berlinonline.de/homepage/ © 2001 G+J BerlinOnline GmbH & Co. KG