Wählst du meinen, wähl ich deinen
Im Internet tauschen linke Amerikaner für den grünen
Kandidaten Nader ihre StimmenMarcel Rosenbach
Wenn die Bürger der Vereinigten Staaten
am Dienstag ihren 43. Präsidenten wählen, dann könnte es
spannend werden - die Meinungsforscher sehen den Demokraten Al
Gore und den Republikaner George W. Bush jedenfalls Kopf an
Kopf. Zuletzt lagen 1960 zwei Kandidaten kurz vor dem Wahltag
so dicht beieinander - damals trat Kennedy gegen Nixon an.
Besonders bei den Demokaten stieg deshalb in den
vergangenen Wochen die Nervosität. Viele Gore-Anhänger
befürchten, dass der Kandidat der Grünen Partei, der in den
USA vor allem als Verbraucherschützer bekannt gewordene Ralph
Nader, das Zünglein an der Waage spielen könnte - und zwar zu
Ungunsten von Gore. Nicht ganz zu Unrecht: Denn Nader hat zwar
keine Chancen auf die Präsidentschaft, er könnte Gore in den
heiß umkämpften Staaten aber entscheidende Stimmen kosten.
Keine Stimme geht verloren
Gore und sein Wahlkampf-Team wiederholten deshalb bei ihren
Veranstaltungen in den letzten Tagen stets, jede Stimme für
Nader sei eine Stimme für Bush - und an einem Wahlsieg des
Konservativen könne den Grünen-Wählern ja nicht gelegen sein.
Jamin B. Raskin, Professor für Verfassungsrecht an der
American University, präsentierte in einem Aufsatz für das
Microsoft Online-Magazin "Slate" nun unlängst eine innovative
Lösung des Dilemmas: Den Stimmentausch über das Internet.
Unter dem Titel "Nader s Traders" schlägt Raskin dort vor,
dass Nader-Anhänger in Staaten wie Washington, Michigan und
Minnesota, in denen sich Gore und Bush ein heißes Rennen
liefern, für den Demokraten stimmen könnten - wenn dafür im
Gegenzug Gore-Anhänger in Staaten wie Texas, Alabama oder
Georgia, in denen Bush einen klaren Vorsprung hat, den Grünen
Kandidaten wählen.
Auf diese Weise, argumentiert Raskin, gehe keine Stimme
verloren: Ralph Nader könnte insgesamt die wichtige Marke von
fünf Prozent der Stimmen erreichen, die ihm für den nächsten
Wahlkampf im Jahr 2004 öffentliche Mittel garantiert. Und Al
Gore könnte Präsident der Vereinigten Staaten werden.
Als Verabredungs-Plattform für die tauschbereiten Gore- und
Nader-Anhänger schlug Raskin eine Webseite vor - also eine Art
"Napster" für Wählerstimmen.
Sein Vorschlag sei sicher nicht jedermanns Sache, so der
Verfassungsrechtler. Wer den Wahlakt eher moralisch als
politisch-strategisch sehe, werde sich kaum vorstellen können,
aus taktischen Gründen einen anderen Kandidaten zu wählen. Er
wolle auch niemanden überzeugen. "Dies ist ein Plan für
Menschen, die Wahlen als strategisches Verhalten ansehen", so
Raskin.
Offenbar gibt es in den USA viele Netzbürger, die Raskins
Auffassung teilen. Noch am 24. Oktober, dem Tag als Slate den
Beitrag veröffentlichte, stellte der Student Jeff Cardille aus
Wisconsin die Seite "Nader Trader" ins Netz. Seither scheint
die Idee nicht mehr aufzuhalten zu sein: Slate berichtet von
mindestens sechs weiteren virtuellen Stimmentausch-Börsen mit
Namen wie "Voteswap2000.com", "NaderGore.org" und
"WinWinCampaign.org". Ein Internet-User aus der Hauptstadt
Washington D.C. hatte die Idee sogar schon vor dem
Slate-Bericht: Er ging mit seiner Seite "Voteexchange" schon
am 1. Oktober online.
Allein "Nader Trader" hat nach eigenen Angaben derzeit rund
130 000 aufrufe täglich. Bei der deutlich professioneller
gemachten Präsenz der "WinWin Campaign" haben sich bis Freitag
rund 2 500 tauschwillige Wähler registriert, Gore- und
Nader-Anhänger halten sich dabei fast die Waage.
Die Stimmentausch- sind nicht die erste kreative
Internet-Idee im US-Wahlkampf. Unlängst machte das Angebot "voteauction.com"
Schlagzeilen. Dort war Wählern für ihre Stimme Geld angeboten
worden; später sollten die Voten dann en bloc an
Privatpersonen oder Firmen versteigert werden - sie hätten mit
den Stimmen ihren Kandidaten unterstützen können. Dazu kam es
allerdings nicht: Die Seite, die ihr Erfinder später als
"politische Satire" bezeichnete, musste auf richterliche
Anordnung geschlossen werden. Es handle sich dabei um
illegalen Stimmenkauf, so die Begründung.
"Absolut üblich"?
Mittlerweile wird auch über die Zulässigkeit der neuen,
nichtkommerziellen Stimmentauschbörsen kontrovers diskutiert.
Verfassungsrechtler Raskin sieht in der taktischen,
abgesprochenen Stimmabgabe kein Problem - sie sei nicht nur
zulässig, sondern sogar "absolut üblich". Der
Gesetzgebungsprozess in Washington funktioniere schließlich
letztlich über ähnliche Deals, nämlich nach der Devise:
"Stimmst du meinem Highway-Gesetz zu, dann stimme ich für dein
Steuergesetz."
Die Behörden scheinen das allerdings anders zu sehen: Die
Köpfe hinter Voteswap 2000, zwei Webdesigner aus Los Angeles,
nahmen ihr Angebot am Montag vom Netz, nachdem die
kalifornische Regierung ihnen mitgeteilt hatte, dass sie damit
gegen das Wahlrecht des Staates verstießen. Kurze Zeit später
wurde auch Voteexchange2000 abgeschaltet. Die anderen Angebote
laufen hingegen weiter.
Wie viele Netznutzer vom Stimmentausch wirklich Gebrauch
machen werden und ob sie die Wahl tatsächlich beeinflussen
können, wird kaum festzustellen sein - schließlich handelt es
sich lediglich um das Versprechen, den jeweils anderen
Kandidaten zu unterstützen. Wie sich die Teilnehmer in der
Wahlkabine dann tatsächlich entscheiden, weiß niemand -
Stimmentausch ist also Vertrauenssache.
Slate-Leser "Andy" hat in seiner Reaktion auf den
Raskin-Artikel denn auch einen totsicheren Tipp für alle
Nader-Unterstützer parat: "Wenn ihr sicher sein wollt, dass
euer Kandidat fünf Prozent bekommt, dann bietet einem
Gore-Freund den Stimmentausch an und wählt trotzdem Nader -
dann zählt eure Stimme doppelt."
|