Vor ein paar Jahren haben wir den
Begriff "Kommunikationsguerilla" geprägt, um eine Anzahl
politischer Praxisformen zu bezeichnen - Praxisformen,
die alte Grenzziehungen zwischen politischer Aktion und
Alltagswelt, subjektiver Wut und rationalem politischem
Handeln, Kunst und Politik, Begehren und Arbeit, Theorie
und Praxis überschreiten. Der Begriff bezeichnet also
keine Organisation wie Globalize Resistance, kein
politisches Netzwerk wie Attac, und auch keine der
komplexeren, rhizomatischen und sich immer wieder neu
zusammensetzenden Formationen der globalen
Protestbewegung wie People's Global Action [http://www.agp.org/] oder das
europäische noborder-Netzwerk [http://www.noborder.org/]. Die
imaginären Brigaden der Kommunikationsguerilla sind
untereinander nicht unbedingt vernetzt. Was sie
verbindet, ist ein spezifischer Stil politischen
Handelns, der sich aus einem wachen Blick auf die
Paradoxien und Absurditäten der Macht speist und diese
im Spiel mit Repräsentationen und Identitäten, mit
Verfremdung und Überidentifikation zum Ausgangspunkt
politischer Interventionen macht.
Entstanden in den 90er Jahren, war das Konzept
"Kommunikationsguerilla" nicht zuletzt eine Antwort auf
die Erschöpfung des traditionellen linken Aktivismus
nach dem Fall der Mauer. Auf der Suche nach neuen
Praxisformen entstand (zumindest punktuell) eine neue,
transversale Praxis jenseits des "alten" Aktivismus -
auch wenn der Ausgangspunkt dieser Suche die Erfahrung
einer folgenreichen Niederlage der Linken war. Heute,
nach dem Aufbruch und vielleicht schon im Niedergang
einer neuen globalen Bewegung, ist die Situation eine
andere, und es fragt sich, inwieweit das Konzept der
90er Jahre noch von Nutzen ist. Der neue Aktivismus ist
globaler geworden, vernetzter, vor allem: Er hat eine
neue Dynamik jenseits der politischen und nationalen
Grenzen entwickelt. Zugleich aber trägt dieser
Aktivismus viele Züge des alten Politaktivismus, und das
nicht nur in der Neo-KP-Version von SWP (Socialist
Workers Party) und Globalize Resistance. Aller Rhetorik
zum Trotz steht der Aktivismus dem Alltagsleben der
Menschen, auch seiner eigenen ProtagonistInnen, oft
seltsam getrennt gegenüber. Die Zukunft dieses globalen
Aktivismus wird davon abhängen, ob es ihm gelingt, auch
auf der lokalen Ebene, der Ebene des Alltags,
handlungsfähig zu werden und dabei zugleich seinen
transversalen, grenzüberschreitenden Charakter weiter zu
entwickeln. Die wichtigste Grenze, die es zu
überschreiten gilt, ist dabei die Grenze, die den/die
AktivistIn selbst in seiner/ihrer Abgrenzung vom "Rest"
der Gesellschaft konstituiert. Wir denken, dass die
Praxis der Kommunikationsguerilla zu einer solchen
Grenzüberschreitung beitragen kann. Hier liegt unsere
Motivation, wenn wir im folgenden Text Erfahrungen mit
dieser Praxis entlang der Fluchtlinien diskutieren, die
in sie eingeschrieben sind, entlang der
Grenzüberschreitungen, durch die sie sich
konstituiert.
Kunst und Politik
Eine Website [http://www.gatt.org/], die die
Selbstdarstellung der WTO vom Kopf auf die Füße stellt;
ein unaufmerksamer Konferenzassistent gibt die Worte WTO
in eine Suchmaschine ein - und schon kann ein Vertreter
der Yes Men als Repräsentant der Welthandelsorganisation
auf einem Kongress für internationales Recht auftreten
[http://www.theyesmen.org/] und die
Konferenz in ein Slapstickszenario verwandeln. Dieselben
Yes Men treffen wir kurz nach den Protesten in Prag im
Kostüm des "Captain Euro" auf einer Demo gegen
Repression und Verhaftungen vor dem tschechischen
Konsulat , aber auch auf der Linzer Ars Electronica, auf
Kunstevents in Barcelona, Wien oder London - ist das
Ganze nun künstlerischer Selbstzweck oder politische
Aktion? Die Kampagne gegen die deutsche
Abschiebefluglinie Lufthansa [http://www.deportation-alliance.com/]
startet mit einer Plakatausstellung ("Deportation
Class"), die die Selbstdarstellung der Airline aufgreift
und mit dem Thema der Abschiebungen verknüpft. Diese
Ausstellung tourt durch deutsche Kunstinstitutionen,
während gleichzeitig der Konzern die Internetversion
derselben Bilder mit wütenden juristischen Drohungen
attackiert. Auch hier ist der Umgang mit der Grenze
zwischen Kunst und Politik unbefangen. Nicht die Frage,
welchem der beiden Bereiche ein Projekt zuzuordnen ist,
interessiert, sondern eher: funktioniert es? Wie schafft
man es, eine scheinbar übermächtige Institution oder
Person zum Narren zu halten und womöglich zeitweilig in
die Defensive zu zwingen?
Kommunikationsguerilla unterscheidet sich von
traditionellen politischen Aktionsformen dadurch, dass
sie bewusst die Bedeutungsdichte von Bildern und
Narrationen ausschöpft. Wir sind genervt von privaten
Sicherheitsdiensten und dem allgegenwärtigen Kaufzwang,
der Abschaffung von Parkbänken, die PassantInnen in die
Cappuccinobars oder zum Weitergehen zwingt. Wir wissen
um die Privatisierung der Innenstädte, das Verschwinden
des öffentlichen Raums. Aber wie lässt sich gegen den
scheinbaren Automatismus dieser Prozesse intervenieren -
mit einer Informationsveranstaltung? Einer
Demonstration? Einer Blockade der Fußgängerzone? Oder
wie wäre es, wenn es plötzlich ein Hindernis gäbe, einen
Bruch in der sonnabendlichen Betriebsamkeit der
Fußgängerzone - kein buntes Straßentheater oder
Ausstellungsprojekt, das über die Beschränkung und Enge
des privatisierten Stadtraums informiert, sondern etwas
Anderes, das diese Enge sichtbar und erfahrbar macht,
eine Testanordnung, in der den NutzerInnen der
Einkaufsstraße ihre tatsächliche Rolle in überdeutlicher
Form zugewiesen wird?
Die Bilder: Eine Fußgängerzone - Lifestyleläden,
Cafés, Bezahlen, StraßenmusikantInnen und Herumlungerer,
die unauffällig des Platzes verwiesen werden,
Werbestände, schwarz gekleidete Security an den
Durchgängen der Edelpassagen... Baustellen... rot-weiße
Absperrungen im Fluss der flanierenden Menge... Eine
große quadratische Fläche mitten auf einem Platz in der
Stadt ist durch rot-weiße Bänder abgesperrt, flankiert
von Security Guards in schwarzen Jeans und weißen
T-Shirts. Freundliches Personal mit Firmenlogo spricht
die PassantInnen an, dasselbe Logo wiederholt sich an
einem Informationstisch. Informationsblätter mit einem
Fragebogen zur Fußgängerzonennutzung werden verteilt:
Wie oft kommen Sie in die Stadt? Wie viel erwarten Sie
heute auszugeben? Welche Zahlungsweise bevorzugen Sie?
Anhand der Fragebögen wird entschieden, ob das
Überqueren des abgesperrten Areals zulässig ist. Die
Narration: "Wir führen diese Untersuchung im Auftrag der
Firma Bienle durch, die den Ankauf des gesamten
Schlossplatzes erwägt. Wir ermitteln in dieser
Testanordnung das Nutzerprofil des zu erwerbenden Areals
im Hinblick auf Profitabilität." [1] Wichtig ist, dass das Bild stimmt. Die
Absperrung ist exakt durchgeführt, die Körpersprache der
Security Guards strahlt Kompromisslosigkeit aus, das
Firmenpersonal agiert glatt und freundlich, aber
bestimmt, die Corporate Identity ist vom Firmenlogo bis
zum Outfit der "Angestellten" professionell
durchgestylt. Die AktivistInnen adaptieren die Sprache
der Macht, die glaubhafte Überidentifikation wird
umgesetzt durch genaue und reflektierte Beobachtung,
Blick für ästhetische Details und professionellen Umgang
mit Materialien.
Diese Aktion wurde von der politisch engagierten
KünstlerInnengruppe 01 durchgeführt, aber nicht als
Kunstaktion ausgewiesen - außer gegenüber einigen
irritierten PolizistInnen, die von der "Firma Bienzle"
offensichtlich nicht im Voraus informiert worden waren.
Das Kunst-Label wurde hier also lediglich instrumentell
eingesetzt, als Camouflage und Schutzschild. Für die
PassantInnen war die Aktion eine irritierende Realität,
die den Privatisierungsprozess in ihrer Stadt zur
subjektiv erfahrbaren Tatsache machte und mehr als eine
Informations- oder Protestveranstaltung zur
Stellungnahme zwang. Es wäre auch denkbar gewesen, ein
derartiges Projekt etwa im Rahmen der Kunstwochen
durchzuführen - dort allerdings wäre der vorherrschende
Interpretationsrahmen für außenstehende BeobachterInnen
nicht "Privatisierung" und "Eingriff in die
Bewegungsfreiheit", sondern "Kunst" gewesen: Dasselbe
Projekt, durchgeführt innerhalb der Grenzen des
Kunstraums, produziert gezähmte künstlerische
Gesellschaftskritik, nicht Kommunikationsguerilla. Es
wäre auch denkbar, ein solches Projekt als Installation
im Museum auszustellen - die gegenwärtige Gier des
Kunstbetriebs nach Kontakt zu "authentischen"
AkteurInnen macht's möglich. [2] Die Yes Men stellten ihren Auftritt als
"Captain Euro" anschließend als Videoinstallation bei
worldinformation.org in Wien aus [http://www.theyesmen.org/]. Auf der
gleichen Veranstaltung regulierte eine technische
Vorrichtung zur Irisüberprüfung das Drehkreuz am
Eingang. Hier nimmt die Kritik an den
Überwachungsmöglichkeiten der Kontrollgesellschaft die
Form einer technischen Spielerei an, passend zum Ort der
Präsentation, dem Technischen Museum. Das Potenzial
einer Aktion hängt vom Kontext ab, er bestimmt, mit
welchen Codes das Publikum sie liest.
Kommunikationsguerilla verfolgt ein politisches
Anliegen. Sie versucht, die Regeln der Normalität zu
kritisieren, indem sie Irritationen und Unklarheiten
schafft und damit neue Lesarten für gewohnte Bilder und
Zeichen ermöglicht. Die Kritik naturalisierter
Machtstrukturen erfordert, diese zunächst einmal
sichtbar zu machen - und sichtbar werden sie dort, wo
das reibungslose Funktionieren der Zeichensysteme und
Interpretationsmechanismen ins Stocken gerät. Im Rahmen
des Kunstbetriebs allerdings ist das kaum möglich: Der
übergreifende Interpretationsrahmen "Kunst" wirkt
gleichsam als Schmiermittel, das es dem/r BetrachterIn
ermöglicht, auch die gröbsten Provokationen noch glatt
hinunterzuschlucken. Die radikale Beschimpfung der
etablierten Kunstszene beispielsweise ist als Modus der
künstlerischen Avantgarde längst legitimiert und damit
entschärft. Das Durcheinanderwirbeln von Bildern und
Zeichen durch Einsatz künstlerischer Techniken wird erst
dort spannend, wo es den integrierenden Rahmen des
Kunstbetriebs verlässt.
"Ist es nicht besser, die Zeichen zu entstellen,
statt sie zu zerstören?", fragte einst Roland Barthes.
Auch die militant-linke Szene arbeitet sich an Zeichen
ab, auch ihre Aktionen sind symbolisch - doch hier geht
es um den Gestus des militanten Angriffs, um das
Zerstören von Zeichen: Pflastersteine in
Schaufensterscheiben von Banken, das obligatorische
Trashen einer McDonald's-Filiale, die Schlacht mit
Robo-Cops. Die Bedeutung dieser Zeichen-Praxis mit ihrer
Inszenierung von Kampf, Revolte, Aufruhr sollte nicht
unterschätzt werden. Nicht umsonst fungiert der Riot von
Seattle als Zeichen, das die Entstehung einer neuen
globalen Bewegung zugleich symbolisierte und
katalysierte. Die mediale Verarbeitung dieses Riots
katapultierte das Bild eines militanten Widerstandes
gegen die abstrakte Alternativlosigkeit der
kapitalistischen Ökonomie in die Öffentlichkeit. Dieses
Bild - eine Kriegsmaschine, die sich der abstrakten
Kriegsmaschine des globalen Kapitals entgegenstellt -
entfaltete eine große mobilisierende Wirkung.
Gleichzeitig aber ist militanter Widerstand immer schon
eingebunden in den Mythos der parlamentarischen
westlichen Demokratie. In den bürgerlichen Medien
gerinnen die Bilder zu einer Illustration demokratischer
Grundprinzipien: "Schuld" an den Straßenschlachten sind
einige böswillige Hooligans, die den friedlichen, bunten
Protest für ihre Zwecke funktionalisieren. Der "Schwarze
Block" hält sich nicht an die Grundregel des
gewaltfreien Protests, die Anerkennung des
Privateigentums, die demokratischen Spielregeln, und
muss deshalb mit massivem Polizeiaufgebot in seine
Schranken verwiesen werden. Das gewalttätige Auftreten
der Staatsmacht wird durch diese Argumentationsfigur
ebenso legitimiert wie das Recht der
GlobalisierungsmanagerInnen, auch weiterhin unter
Ausschluss der Öffentlichkeit Entscheidungen zu
treffen.
Am Beispiel der globalen Proteste lässt sich aber
auch die Effektivität des taktischen Zeichen-Entstellens
zeigen. Bei den Protesten gegen das Weltbanktreffen im
September 2000 in Prag schafften es die hüftschwingenden
Feen des "Pink Block" nicht nur, in das symbolische
"Herz der Bestie" (das Kongresszentrum des
Weltbanktreffens) einzudringen - was weder den Tute
Bianche in ihren gepolsterten Overalls noch den schwarz
gekleideten Kämpfern des Schwarzen Blocks gelang. Sie
schufen darüber hinaus Bilder, die die Ikone des
steinewerfenden Straßenkämpfers gegen die Polizei ins
Absurde verkehrten - der Kämpfer ist eine Kämpferin in
Pink, eine Samba-Künstlerin. Ein Jahr später in Genua
waren es Marsmenschen, Ufos, die U-NO-SoldatInnen der
VolxTheaterKarawane, Bikini Girls, Michelinmänner und
andere, die das festgefügte Bild davon, wie eine
radikale Demonstration auszusehen und zu agieren hat,
entstellt und verfremdet haben.
Wir haben das Gefühl, dass das Selbstbild vieler
militanter AktivistInnen die Gefahr birgt, sich vom Rest
der Gesellschaft getrennt zu denken: Es entsteht eine
aktivistische Subkultur mit eigenen Zeichen, eigenen
Werten und eigenen Legitimationsmustern. Widerstand
bezieht seine Legitimität aus der Authentizität des
eigenen Körpereinsatzes, der Intensität des eigenen
Engagements. Die Isolation des aktivistischen Ghettos
wird beklagt, gleichzeitig aber wird die "Reinheit" der
eigenen Seite ängstlich aufrechterhalten, grenzt die
Rhetorik der Konfrontation und des apokalyptischen
Millenarismus das AktivistInnenlager vom
gesellschaftlichen Mainstream klar ab. Diese Abgrenzung
findet auch in den heftigen Diskussionen um Kontakte zu
Mainstreammedien ihren Ausdruck, oder in der Mühsamkeit
der Versuche, Kontakte mit der Nachbarschaft um besetzte
Häuser herzustellen. Man ist, trotz gelegentlicher
Zusammenarbeit, misstrauisch, nicht nur gegenüber der
oft narzisstischen Kunstwelt, sondern auch gegenüber den
"geeks", den CyberaktivistInnen der 90er Jahre,
die sich um Veranstaltungen wie den Amsterdamer "next 5
minutes"-Kongress scharten. Ein spielerischerer Umgang
mit Zeichen, Bildern und Bedeutungen, das Zulassen von
Hybridität und Komplexität könnten dazu beitragen, diese
Grenzziehung stellenweise aufzubrechen. In einem
optimistischen Szenario könnte die paradoxe Begegnung
zweier marginaler gesellschaftlicher Bereiche, der
Kunstszene und des Polit-Aktivismus zur Entstehung eines
transversalen Kunst-Polit-Aktivismus Anlass geben, der
die Grenzen und Beschränkungen der jeweiligen Szenen
überwindet.
Im Oktober 2000 ließ das Museum for Contemporary Art
in Barcelona eine Serie von Workshops zum Thema:
"Direkte Aktion als eine der schönen Künste" kuratieren,
die sich zu einem zweiwöchigen AktivistInnentreffen
entwickelte. [http://www.lasagencias.net/] Zunächst
von vielen "gestandenen" AktivistInnen misstrauisch
beäugt, gingen aus dieser Veranstaltung mehrere
politische Projekte hervor, die bis heute aktiv sind -
ninguna es ilegal veranstaltete 2001 ein Grenzcamp am
Südzipfel von Spanien [www.sindominio.net/ninguna], wo
Tausende von afrikanischen Flüchtlingen ankommen,
indymedia Barcelona [barcelona.indymedia.org] gründete
sich, und es entstand ein Zusammenhang, der sich an den
Protesten gegen das geplante und dann abgesagte
Weltbanktreffen mit grafischen und theatralischen
Mitteln beteiligte. Es ist kein Zufall, dass bei solchen
Gelegenheiten entstehende Projekte oft Formen und
Techniken der Kommunikationsguerilla verwenden, Formen,
die zur lustvollen Aneignung künstlerischer Methoden in
der politischen Arbeit ebenso anregen können wie zum
politisch effektiven Einsatz von künstlerischen
Potenzialen.
Das Umfeld der globalen Proteste schafft einen
eigenen sozialen Raum in Form einer aktivistischen
Subkultur, die nationale Grenzen überschreitet und sich
über vielfache digitale und leibliche Vernetzung
konstituiert. Manchmal scheint es, als sei die
Vernetzung selbst und die Beherrschung ihrer Werkzeuge
(noch) das wichtigste Resultat dieser Bewegung. Auch die
"Kunstszene" stellt ein Nebenzimmer in diesem sozialen
Raum bereit. Man trifft sich wieder - nicht nur beim
nächsten globalen Protest, sondern auch bei Biennalen
und Filmfestivals, auf der Documenta und der Ars
Electronica. Noch ist die Wechselwirkung von Kunst- und
Politszenen punktuell, vermittelt über einige wenige,
zwischen Kunst und Politik oszillierende
HyperaktivistInnen. Eine stärkere Wechselwirkung, die
zum Ausgangspunkt einer breiteren transversalen Praxis
werden könnte, wird sich in konkreten Projekten
entwickeln müssen. Das gegenwärtige Interesse der
Kunstszene am "wirklichen sozialen Leben" kann dafür
einen Anstoß bieten; auch die Möglichkeiten, mit
widerständigen Praktiken auf dem Kunstmarkt zu
reüssieren, werden eine Rolle spielen. Ob mehr daraus
wird, bleibt abzuwarten.
AAA: Aktivismus, Alltag, Arbeit
Das Medien- wie auch das Selbstbild des Aktivisten
(meistens ist der Repräsentierte ja ein "Er") reduzieren
diesen auf die Praxis der Aktion. Es scheint, als ob
diese Menschen nichts anderes tun, als Häuser besetzen
und Demonstrationen organisieren - so wie in der
Öffentlichkeit auch der Künstler auf seine Projekte und
Produkte reduziert wird. Beide, Künstlerin und
Aktivistin, sind jedoch im Normalfall auch noch ganz
anderes. Sie arbeiten in der Landwirtschaft oder auf dem
Bau, als SaisonarbeiterInnen, professionelle
SpendensammlerInnen, im sozialen Bereich oder als
Teilzeitbeschäftigte in Büros und Call Centers, sie
unterrichten in Sprachschulen, Volkshochschulen oder
Universitäten. Sie sind nicht zuletzt im Bereich der
neuen Medien tätig - Grafik- und Webdesign,
Netzadministration, EDV-Fachleute. Sie bewegen sich in
der Arbeitswelt und zugleich in einer Aktivistenwelt,
die ihren eigenen Kalender, ihre eigene zeitliche und
räumliche Ordnung hat. Das ist nichts Neues (auch der
Künstler Franz Kafka war Verwaltungsangestellter), neu
ist unserer Meinung nach aber die zunehmende Integration
von Wissen, Lebensstil und Ressourcen aus beiden
Bereichen.
So, wie es in manchen Handwerksbetrieben noch immer
üblich ist, die Werkzeuge in der Mittagspause zur
Produktion für den eigenen Bedarf zu nutzen, werden auch
die Bürokopierer zur Flugblattproduktion eingesetzt, die
Infomaterialien per firmeneigener Frankiermaschine
freigestempelt. Diverse Indymedia-Sites werden zu weiten
Teilen vom Arbeitsplatz aus aktualisiert. Andererseits
haben viele MedienarbeiterInnen ihre Produktionsmittel
wie Computer und Videokameras zu Hause und können diese
sowohl zur Arbeit wie für politische Aktionen einsetzen.
Und vor allem gleitet das Wissen über den dominanten
Diskurs und die herrschende Ästhetik stets von einem
Bereich in den anderen, kann sowohl zur Reproduktion wie
zur Kritik der bestehenden Machtbeziehungen eingesetzt
werden.
Die Grenzüberschreitung geht dabei in beide
Richtungen: Das Wissen um Textgestaltung, das sich
aktivistische Desktop-PublisherInnen beim Faken von
städtischen Infobroschüren oder offiziellen Briefköpfen
erwerben, ist auch für bezahlte Auftragsarbeiten von
Nutzen. Wer umgekehrt die gestalterischen und
ideologischen Strukturen der Werbewelt tagtäglich im
beruflichen Alltag reproduziert, kann mit einer winzigen
Drehung in einem gelungenen Fake die Aussage der
Werbeästhetik auf den Kopf stellen. Die im Beruf
benötigte Kenntnis der "Sprache der Macht" kann
jederzeit zum Widerstand und zur Subversion gewendet
werden. Für Kommunikationsguerilla ist diese Kenntnis
zentral. Die Kampagne gegen die Abschiebefluglinie
Lufthansa war unter anderem deshalb so erfolgreich, weil
die Form der professionellen Selbstdarstellung perfekt
imitiert wurde, während die Bedeutung durch konsequente
Überspitzung in ihr Gegenteil verkehrt wurde - vom "Wir
fliegen Sie hin." der Lufthansa zum "Wir fliegen Sie
raus." der Deportation Class.
Für Kommunikationsguerillas ist es nicht genug, den
Gegner zu kennen - es geht darum, die Formen und
Zeichen, die sozusagen "die Sprache der Macht"
konstituieren, selbst zu beherrschen.
Kommunikationsgueriller@s sind keine Spione oder
Undercover-AgentInnen in der Arbeitswelt oder der Welt
des bürgerlichen Konsens. Oft sind sie in ihrer
Lebenspraxis Teil davon, akzeptieren Rollen als Lehrende
oder KollegInnen, übernehmen Funktionen im
kapitalistischen System. Gerade dadurch wird das
Oszillieren zwischen radikaler Kritik und Camouflage
möglich. Die RezipientInnen-JournalistInnen und ihre
Leserschaft, potenzielle KundInnen, alle, die mit dem
Werbematerial der Deportation-Class konfrontiert sind -
werden unwillkürlich in die Widersprüche des
kapitalistischen Systems und seiner
westlich-humanistischen Ideologie hinein gesogen: Ist
die Deportation-Class wirklich ein zynisches
Sonderangebot der Lufthansa für billige Sitze auf
Abschiebeflügen? Oder doch eine besonders gelungene
Kritik an deren Abschiebepraxis? Entscheidet der/die
RezipientIn sich für die erste Lesart, so ist er/sie mit
der Frage konfrontiert, ob es sich um
menschenverachtende Geldmacherei oder um ein legitimes
Marketinginstrument handelt. Durchschaut er/sie die
Deportation-Class als Fake, so kann er/sie es dennoch
nicht einfach als absurde Verleumdung abtun - zu nah ist
die Logik der Narration an der echten
Lufthansa-Ideologie. Egal, für welche Lesart der/die
RezipientIn sich entscheidet - die einmal gestellten
Fragen bleiben an der Lufthansa hängen.
Imageverschmutzung bricht so die weithin akzeptierten
Selbstverständlichkeiten des kapitalistischen Systems
auf und eröffnet einen unmittelbaren Blick auf
Widersprüche zwischen Realität und Repräsentation.
Kommunikationsguerilla darf keine Berührungsängste
haben: Sie muss es wagen, sich ganz auf die Logik des
verabscheuten dominanten Diskurses einzulassen, um ihn
von innen heraus umzudrehen. Und sie muss auf die
Wirksamkeit der Zeichen vertrauen, darf nicht der
Versuchung nachgeben, eben doch aufklärende
Informationen anzubieten, und damit die Maske fallen zu
lassen. In der Folge der kriegerischen Eskapaden der
deutschen SPD Regierung, die auch von den Grünen
mitgetragen wurden, tauchte ein Poster mit dem bekannten
sterbenden Soldaten ("Why?") [http://www.contrast.org/KG/] auf. Mit
einer kleinen Verfremdung wurde aus "why" "why not". Die
Logos von SPD und Grünen am unteren Rand legten es nahe,
dass es sich bei dem Poster um eine Publikation dieser
Parteien handeln könnte - obwohl der/die kundige
ZeichenleserIn sehr wohl versteht, dass diese den
Zynismus ihrer Politik niemals so offen aussprechen
würden. Durch die Wahl und Montage der Bilder sagte das
Poster deutlich: Ein zynisches "Why not" ist die Haltung
dieser Parteien, ob sie es zugeben oder nicht. Durch die
Beifügung eines anklagenden Textes jedoch hätte diese
Intervention den Raum der Kommunikationsguerilla
verlassen und wäre zur Propaganda/Agitation geworden.
Ihre Funktion wäre Aufklärung mit Schmunzelfaktor
geworden, statt Irritation, die im besten Fall zum
Nachdenken zwingt.
Globalisierung
Es besteht kein Zweifel: Wir sind mittendrin in der
Globalisierung, gerade als AktivistInnen. Bei den
Protesten der oft so genannten AntiglobalisiererInnen
werden genau diejenigen Fähigkeiten eingeübt, die jeder
Konzernchef sich von seinen MitarbeiterInnen wünscht:
Fähigkeit zur Teamarbeit an zeitlich beschränkten
Projekten, zusammen mit bisher unbekannten KollegInnen.
Flexibilität, kulturelle Kompetenz,
Fremdsprachenkenntnis. Flache Hierarchien, optimale
Ausnutzung beschränkter Ressourcen,
Improvisationsfähigkeit. Beherrschung digitaler
Kommunikationsmittel. Geschwindigkeit, voller Einsatz.
Transversalität auch hier - die Frage bleibt, mit
welchem Ziel?
Wenn es stimmt, dass wir uns im Übergang zur
Kontrollgesellschaft befinden, dann könnte es in Zukunft
noch wichtiger werden, unser subversives Potential auf
der molekularen Ebene schärfer, zielgerichteter zu
machen. Im entstehenden Empire werden wir unseren
Unwillen immer weniger auf einzelne Regierungen richten
können - das Spiel mit Bildern und Repräsentationen wird
im vernetzten Teil der Welt an Bedeutung zunehmen, ohne
dass handgreifliche Aktionen im öffentlichen Raum die
ihre verlieren. Es geht um eine politische
Positionierung, die sich nicht auf theoretische Analyse
in den Begrifflichkeiten der Soziologie und
Kulturtheorie beschränkt, sondern auch in Bildern denkt
und Zeichensysteme zu nutzen weiß. Zorn und Genervtheit
und der Wunsch, der Macht eine lange Nase zu drehen,
führen oft wirksamer als rationales Nachdenken zum
Erkennen der Bruchstellen und Widersprüche im dominanten
Diskurs. Kommunikationsguerilla bleibt jedoch nicht im
selbstbezogenen temporären Verwirrspiel stehen - sie
verknüpft es mit Argumentation in bürgerlichen und
eigenen Medien weiter, ist verbunden mit
Gegenöffentlichkeit und bezieht sich auf die Themen und
Anliegen sozialer Bewegungen. In den letzten Jahren
haben sich diese Bewegungen neue Technologien zu eigen
gemacht, vom Handy über die Nutzung (und Fälschung) von
zunehmend interaktiven Websites und Videos bis zum
Live-Streaming.
Informationstechnologien, nützliche Instrumente der
Kontrollgesellschaft, lassen sich subversiv umdrehen,
AktivistInnen können die Kenntnisse, die sie sich in der
Lohnarbeit aneignen, auch für andere Zwecke nutzen.
Umgekehrt nützen ihnen die in der Szenewelt erlernten
Arbeitsweisen im neoliberal flexibilisierten
Arbeitsalltag. Zeitlich beschränkte, projektorientierte
Teamarbeit und räumliche Flexibilität sind nur zwei
Beispiele von vielen. Gerade in einer gesellschaftlichen
Formation, in der Zeichen, Branding, Images sowohl für
die Businesswelt als auch für Regierungen und
multinationale Strukturen wie die WTO oder die G8 immer
wichtiger werden, kann Kommunikationsguerilla effiziente
Angriffe durchführen. Die Welt des Aktivismus steht
nicht außerhalb des Globalisierungsprozesses, des
Übergangs vom Zeitalter der bürgerlichen Demokratien zu
etwas anderem, noch nicht Definiertem. Sie ist Teil
davon - und in der intimen Kenntnis der zu bekämpfenden
Strukturen, deren Legitimität zumindest in Frage zu
stellen ist, liegt ihr Potenzial - auch wenn die nächste
große Erzählung auf sich warten lässt.
aus: Gerald Raunig (Hg.), TRANSVERSAL. Kunst
und Globalisierungskritik. Wien: Turia + Kant
2003
[1] vgl. S. Brünzels, Dos ejercicios tacticos
para hacerse con el espacio publico, in: Modos de Hacer,
Hrsg. P. Blanco et. al., Ediciones Universitad de
Salamanca 2001 [2] Allerdings wurde ein Kunstprojekt von
"Jeder ist ein Experte" bei der Turiner Biennale in
Italien rausgeschmissen, nachdem es Berlusconi offen
kritisiert hatte, siehe http://www.expertbase.net/
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