Public Spaces Invaders
Stefan
Krempl 08.02.2002
Die Transmediale zeigt, wie sich der öffentliche
Raum hacken lässt
Wege zum Besetzen und Gestalten neuer
Öffentlichkeiten im digitalen Zeitalter will die am Rande der
Berlinale noch bis zum 10. Februar laufende transmediale.02 aufzeigen.
"Go public!" lautet die Aufforderung des Konferenz, Clubbing,
Performances und Kunstausstellung vereinenden Events, das sich in
den 15 Jahren seines Bestehens vom Video- zum "internationalen
Medienkunst-Festival" entwickelt hat. Mit dem Börsengang, den
angloamerikanische Transmediale-Besucher mit dem Motto zunächst
assoziieren, habe das alles aber nichts zu tun, erklärt
Mitorganisator Andreas Broeckmann. Vielmehr gehe es um die Kunst,
sich dem durch die Neuen Medien neu öffnenden öffentlichen Raum auf
unkonventionelle Weise zu nähern.
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Blinkenlights, Webcam am 8.2.2002,
00.32.23 |
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Gefragt waren so vor allem die "Public Spaces Invaders", die
Schnittstellen zwischen Telekommunikation, Informationstechnik und
Öffentlichkeit herstellen. Die Hacker vom Chaos Computer Club ( CCC) etwa, die sich zu ihrem 20.
Geburtstag im vergangenen Herbst einen alten Traum erfüllt und die
13-stöckige Fensterfassade des seine Geburt aus dem Geiste des
Sozialismus nicht verheimlichenden "Haus des Lehrers" am Berliner
Alexanderplatz in einen riesigen Bildschirm verwandelt haben.
Die Installation Blinkenlights, die just am
historischen 11. September, in Betrieb ging, kann jeder vor einer
0190er-Nummer nicht zurückschreckende Handy-Nutzer fernsteuern und
so die 18 x 8 Pixel beziehungsweise Fenster in ein
überdimensioniertes Kommunikationsmedium verwandeln ( Interaktiv
im öffentlichen Raum). Auf der Internet-Site des noch bis zum 24
Februar laufenden Projekts lassen sich Punkt für Punkt mit einer
eigens programmierten Grafiksoftware oder einem Texteditor sogar
Animationen erstellen, die übers "Mobile" mit einem Code aktiviert
werden können.
Die Resonanz der in nur vier Wochen mit Hilfe von 144 auf Stangen
hinter den Scheiben befestigten Lampen, 5 Kilometer Kabel,
zahlreichen Relais und einem zentralen Linux-Server auf die Beine
gestellten interaktiven Installation, die seit über fünf Monaten
ohne Absturz läuft, war für die Hacker überwältigend. "Über 800
Filme sind eingesendet worden", zog Tim Pritlove vom CCC ein
vorläufiges Resümee. "Davon waren 250 Liebesbotschaften." An Anna
beispielsweise, die schlagende Herzen, Schmetterlinge, Häschen und
Enten zurück in die Arme des Liebsten nach Berlin holen sollen.
Vielleicht haben deshalb die Toten Hosen just das Video zu "Nur die
Liebe zählt" im Haus des Lehrers abgedreht und den Blinkenlights ein
dauerhaftes Denkmal gesetzt. Insgesamt beträgt die Laufzeit der auf
144 Pixel reduzierten Kurzfilme, die selbst aus fernen Ländern wie
Kambodscha eintrudeln, rund anderthalb Stunden. Täglich spielen
zudem rund 30 Spaziergänger Pong auf dem Screen ( Pong
am Alex).
Medienmüll per SMS
ästhetisiert
Während das Treiben der Hacker am Alex den
offiziellen Segen der Landesväter erhielt, kooperiert das Londoner
Projekt Text FM mit rund 30
illegalen Radiostationen. Die Piratensender wollen mit der
Verknüpfung von SMS und Rundfunk dem alten Medium neues Leben
einhauchen und es zugleich an seine ästhetischen Grenzen führen.
"Die Medien sind zu leeren Blasen geworden", erklärte Matthew
Fuller, einer der Köpfe hinter Text FM, die philosophische
Grundannahme des Dauer-Happenings. "Sie bringen nur noch Müll."
Mit dem Projekt überzeichnen die Macher diese Medieneigenschaft
ins Extrem: Sie haben eine webbasierte Schnittstelle eingerichtet,
die SMS-Botschaften in gesprochenen Text umwandelt und diesen
ständig in das Programm der Piratensender einfließen lässt. Das
Vergnügen über den Müll werde schon allein aufgrund der
linguistischen Formen auf die ästhetische Spitze getrieben, schwärmt
Fuller über den ständig von der nächsten Polizei-Razzia bedrohten
und dadurch noch spannender werdenden Klanggenuss. Die entstehende
Medienökologie lebe gerade von ihrem vorübergehenden Charakter, der
auf Wegwerfqualität reduzierten Lowtech-Ausstattung der
Radiostationen sowie der Vermischung des Sozialen und des Medialen.
We are watching
Grundsätzliche Zweifel, ob die öffentliche Sphäre überhaupt von
Künstlern sinnvoll gestaltet werden kann, brachte dagegen der Wiener
Aktivist Konrad Becker vor. Wie seine Organisation Public Netbase
auch auf ihrer Site World-Information.org
darstellt, ist die öffentliche Meinung längst von der
professionellen Desinformation der Geheimdienste unterwandert.
Polizei- und Schlapphut-Apparate überwachen gleichzeitig die
Öffentlichkeit mit gigantischen Spionagenetzwerken wie dem
weltweiten Lauschsystem Echelon und erzielen so eine ungeheure
Kontrolle der Menschen.
Beckers (Verschwörungs-)Theorie führt dabei vom sokratischen
Phaedros, dem Dinge schon im alten Griechenland nicht immer so
erschienen, wie sie denn sind, über den zu Renaissance-Zeiten
lebenden italienischen "Vorläufer der Massenmanipulation" Giordano
Bruno und seinen die Kryptographie vorantreibenden englischen
Zeitgenossen John Dee bis hin zu den psychologischen Operationen des
Pentagons und den Desinformationskampagnen von FBI und CIA.
Gefälschte, den UN-Sicherheitsrat belügende Videos spielen in der
Wiener Weltaufklärung genauso eine wichtige Rolle wie die immer
wieder von den Meinungslenkern eingesetzten Flugblätter. "We are
watching", steht auf den von Becker gezeigten aktuellen
amerikanischen Beispielen aus dem Afghanistan-Krieg. Darunter ist
einmal Usama bin Ladin im schicken Dress und mit mal gar nicht so
langem Bart als Gigolo abgebildet. Ein andermal ein auf trockenem
Staubboden liegender toter, ziemlich viel Gesichtshaarwuchs
aufweisender Taliban-Kämpfer.
Doch nicht nur "die Dienste" nutzen die gezielte Desinformation,
um die öffentliche Sphäre gehörig zu unterwandern. Auch die
Aktivisten wissen Fälschungen gezielt für ihre Zwecke einzusetzen,
wie "Andreas Bichlbauer" von den legendären Yes Men darstellte (
Zur
Ästhetik der Lüge). Über ihre im Design dem offiziellen
Webauftritt der World Trade Organisation genau
nachempfundene Site http://www.gatt.org/ hat die Gruppe
inzwischen wiederholt Anfragen für Konferenzvorträge und
Fernsehinterviews bekommen - und diese auch immer mit packenden
Anti-Globalisierungs-Statements und -Auftritten erfüllt ( Anarchisten
und Autonome halten die Protestbewegung gegen die Globalisierung am
Leben).
Selbst der "US-Minister für Kunst
und Technologie" gab sich die Ehre
Obwohl das Wirken der Yes Men inzwischen durchaus einen gewissen
Bekanntheitsgrad erreicht hat, steht für Dr. Bichlbauer etwa im Mai
erneut ein Besuch einer internationalen Konferenz an, diesmal in
Japan. "Das ist eine großartige Möglichkeit für NGOs, ihre Kritik
vorzubringen", erläuterte der vermeintlich in Wien geborene Aktivist
auf der Transmediale. Und damit das Fälschen von Websites
offizieller Organisationen und Persönlichkeiten zum Kinderspiel
wird, hat die Gruppe mit dem anscheinend noch nicht vom Dreamweaver-Hersteller
ausgemachten Reamweaver einen "fake
homepage generator" zur kostenlosen Nutzung bereit gestellt.
Wie gut die gezielte Medienmanipulation selbst mit den
haarsträubendsten Mitteln funktioniert, bewiesen die Yes Men gleich
am "lebenden Objekt" in Berlin. Zur feierlichen Eröffnung des
Medienfestivals am Dienstag trat einer ihrer Abgesandten als
"Randall M. Packer", seines Zeichens US-Minister für Kunst und
Technologie auf und schwärmte von der großen Macht der
Virtualisierung. Medien wie Spiegel
Online fielen prompt auf die plumpe Fälschung rein, ohne sich
auch nur kurz der Tatsache zu vergewissern, dass es einen solchen
Minister im Bush-Kabinett überhaupt nicht gibt und ein solcher Titel
auch zuvor in der amerikanischen Geschichte wohl noch nie
existierte.
Die Konferenz der Transmediale läuft noch bis zum Sonntag im Haus der Kulturen der Welt. Auf dem
Programm stehen noch Panels wie "Software Speculations", "Young
Russian Media Art" oder "Digital Cultural Heritage". Die
Eintrittspreise für die Präsentationsrunden betragen zwischen 6 und
10 Euro.