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29.12.2000 11:50 |
Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs[1] und seit Mitte November Vertreter der allgemeinen User[2] in Europa bei der Internet-Verwaltung ICANN[3], hat in seiner kurzen Dienstzeit als Vorstand der kalifornischen Unternehmung bereits genug mitbekommen, um seine Vorbehalte gegen das Regime der Netzressourcen-Verteiler bestätigt zu sehen. Es ist nicht nur der mysteriöse Regierungsbeirat[4] bei der ICANN oder die Vormacht von Konzernen aus der Telekommunikations- und Elektronikbranche in der Protocol[5] beziehungsweise Domain Name Supporting Organisation[6], zwei der drei Standbeine der Adressverwaltungsstelle, die dem Hacker Kopfschmerzen bereiten. Vielmehr glaubt Müller-Maguhn, dass das Design des von der ICANN überwachten Namensraumes grundsätzlich falsch angelegt ist.
Den ICANN-Direktor stört vor allem, dass das Domain-Namen-System (DNS) nach wie vor der letzte zentralistische Punkt ist, an dem relativ einfach Kontrolle ausgeübt werden kann. Der wunde Punkt des Systems ist vor allem der so genannte A-Root-Server, das zentrale Verzeichnis aller Webadressen, das nach wie vor mit dem Segen der US-Regierung von der inzwischen zu Verisign gehörenden Firma Network Solutions[7] überwacht wird. Drum herum gibt es zwar inzwischen 12 weitere Root-Server sie spiegeln allerdings nur das Verzeichnis des Basis-Servers.
Wie einfach sich dieses System missbrauchen lässt, zeigt für Müller-Maguhn vor allem das Beispiel Vote-auction.com[8]: Die österreichische Schock-Marketing-Agentur Ubermorgen.com[9] hatte auf dieser Domain im Oktober die Versteigerung von Stimmen für die amerikanische Präsidentschaftswahl ermöglicht, nachdem der Betrieb der ursprünglich von einem Kunststudenten im Staate New York konzipierte Plattform unter der Domain Voteauction.com von einem Landgericht in Illinois per einstweiliger Verfügung gestoppt worden war.
Um sich dem Einfluss amerikanischer Gesetze bei der Ausweichadresse Vote-auction.com zu entziehen, hatten die Macher von Ubermorgen.com sie nach dem Verbot der Stammdomain bei einem deutschen Provider registrieren lassen, der seine .com-Adressen über das in der Schweiz beheimatete CORE[10] verwaltet. Doch die Österreicher hatten nicht mit dem weiten Arm der amerikanischen Politiker gerechnet: Am 2. November teilte CORE ihnen mit, dass man über den Ablauf illegaler Machenschaften auf der Domain Vote-auction.com per E-Mail informiert worden sei und daher der Austragung der Adresse aus den Root-Servern zugestimmt habe[11].
In eine ähnliche Richtung, so Müller-Maguhn, weise der Fall der Manipulation von Webseiten der jugoslawischen Opposition während der Präsidentschaftswahl Ende September. Milosevics Ministerium für Wissenschaft und Information hatte damals den Verwalter der Domain .org.yu derart unter Druck gesetzt, dass er die Besucher der Site der Demokratischen Partei auf andere, meist pornografische Webangebote umleitete[12].
Die Beispiele sind für den Hackerclub Grund genug, mit einem alternativen Domain-Namen-System zu experimentieren. Nachdem Müller-Maguhn bereits Anfang November mit dem Gedanken gespielt[13] hatte, "etwas Eigenes aufzumachen", bestätigte er gestern auf dem 17. Chaos Communication Congress[14] in Berlin den Plan, einen alternativen Namensraum ohne hierarchisches Konzept innerhalb der Hackerszene aufzubauen. "Wir haben genügend Rechner am Netz, das Ganze ist technisch machbar", sagte der Sprecher des Clubs unter dem Beifall der versammelten Community.
"Wir werden den Planeten in ein heilloses Chaos stürzen", fügte er scherzend hinzu, "um auf die Fehler im System hinzuweisen." Schließlich hätten die Politiker und die "Markenrechts-Mafia" vor nichts mehr Angst, als vor Webräumen, wo sich keiner um Namensrechte oder Urhebergesetze kümmere.
Der CCC wäre mit der Umsetzung des Plans nicht der einzige Betreiber virtueller Nebenwelten im Internet. Bekannte Betreiber alternativer Root-Server sind beispielsweise der ehemalige Netzkünstler Paul Garrin aus New York, der über Name.Space[15] bereits über hundert Top-Level-Domains anbietet, die nicht im Root-Server von Network Solutions geführt werden, oder die US-Firma Image Online Design[16], die sich vor allem auf Dot.web eingeschossen hat. Das Problem all der alternativen Adressverzeichnisse ist, dass sie bei den meisten Providern nicht in der DNS-Software eingetragen sind, die Domain-Abfragen weiterleitet und beantwortet.
Der CCC will trotzdem mit dem Projekt beginnen, "auch wenn wir das alles erst einmal nur unter uns nutzen", bekräftige Müller-Maguhn den Entschluss. Es gehe letztlich darum, die weltweite Verbreitung "amerikanischer Zustände" zu verhindern. (Stefan Krempl) /
(jk[17]/c't) (jk/c't)
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[6] http://www.icann.org/dnso/dnso.htm
[7] http://www.networksolutions.com/
[8] http://62.116.31.68
[9] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/auf/8654/1.html
[10] http://corenic.org
[11] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4200/1.html
[12] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/8869/1.html
[13] http://www.heise.de/newsticker/data/chr-02.11.00-005/
[14] http://www.ccc.de/congress/
[15] http://name.space.xs2.net/
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