Attack on Democrazy by Ubermorgen. Bulls and Bears on the electoral market

Über die Aktion "[V]ote-Auction"

lizvlx

(Resumee von Michael Pfister unter Verwendung der Website vote-auction.net)

Im Sommer 2000 uebernahm die Netzkunstfirma ubermorgen ein Projekt, das im Rahmen
der Diplomarbeit eines New Yorker Studenten entstanden war. "[V]ote-Auction"
wurde von Ubermorgen internationalisiert, ausgebaut und mit einem auf die
Zielgruppe zugeschnittenen Web-Design ausgestattet. Es handelt sich um ein Forum,
das Demokratie und Kapitalismus einander naeher bringen will. Im Vorfeld der
US-amerikanischen Praesidentschaftswahl 2000 wurden Waehler eingeladen, ihre Stimme
zur Versteigerung freizugeben. Jeweils die angebotenen Stimmen eines ganzen
Staates sollten dem Meistbietenden verkauft und der entsprechende Anteil am Erloes
den Stimmenverkaeufern ausbezahlt werden. ubermorgen als Betreiberin des Forums
war an diesen Transaktionen finanziell nicht beteiligt. Sie machten geltend, dass
diese Methode fuer die Finanzierung von Kampagnen bedeutend billiger sei als die
herkoemmlichen Spenden und Werbe-Aktionen. Die Geschichte des Stimmenkaufs wird
auf www.vote-auction.net dokumentiert, beispielsweise mit der bedeutenden
Alkoholspende des 1757 fuer einen Sitz im Virginia House of Burgesses
kandidierenden George Washington an die 391 Waehler seines Bezirkes. ubermorgen
macht geltend, dass das Auktionsforum "[V]ote-Auction" ein "neues Paradigma" in
der Tradition des Stimmenkaufs in Demokratien darstellt. In juristischer Hinsicht
wird darauf hingewiesen, dass das "Ausgeben von Geld zur Beeinflussung von
Waehlern durch die Klausel ueber freie Meinungsaeusserung im First Amendment der
amerikanischen Verfassung geschuetzt" werde. Neben dem Betreiben der Website
lancierte ubermorgen einige breit gestreute Pressemitteilungen inklusive
intensiver internationaler Nachbetreuung, die ein grosses Echo ausloesten.
Insgesamt sollen 450 Millionen Medienkonsumenten von der Aktion erfahren haben.
In den drei Monaten vor der Bush-Gore-Wahl gab ubermorgen 3-5 Radio- und
TV-Interviews und 10-20 Email und Telefoninterviews pro Tag. In den USA kam es zu
zwanzig angedrohten und vier wirklich durchgefuehrten Rechtsstreiten. Aufgrund
eines Richterspruchs in Illinois wurde die Domain der Website zweimal gesperrt,
konnte aber unter leicht veraendertem Namen jeweils wieder ­ rechtzeitig fuer die
Wahlen selbst ­ aufgeschaltet werden. ubermorgens Ziel ist es stets, die
"weltweiten" Moeglichkeiten des Internet optimal zu nutzen. Eines der beruehmtesten
"weltweiten" Medien, der Fernsehsender CNN, berichtete siebenmal ueber
"vote-auction" und widmete dem Thema am 24. Oktober 2000 eine halbstuendige Folge
der Justiz-Sendung "Burden of Proof" unter dem Titel "Bidding for Ballots:
Democracy on the Block". Auf www.vote-auction.net findet sich ein Link zu einem
vollstaendigen Transkript der von lizvlx an Bord der Arteplage Mobile du Jura samt
Werbebloecken gezeigten,  ueberaus paradoxen Sendung. Zwei Moderatoren, drei per
Bildschirm zugeschaltete Gespraechspartner und fuenf Rechtsexperten im Studio
eroerterten den Fall. Hans Bernhard von ubermorgen stand telefonisch Rede und
Antwort. "Hans, warum in aller Welt glauben Sie, sich einfach so in die
amerikanische Wahl einmischen zu duerfen?" wollte Moderatorin Greta van Susteren
von ihm wissen. Seine Antwort: "Wir moechten ein Forum bieten, um einen perfekten
Markt zu schaffen. Unser Slogan besagt, dass wir Kapitalismus und Demokratie
zusammenbringen wollen. Wir sehen das als weltweite Aufgabe, und die US-Wahl ist
nur ein Testfall." Die harsche Reaktion eines kalifornischen Staatsbeamten, der
bekanntgab, in Kalifornien wuerde polizeilich gegen moegliche Stimmenverkaeufer
ermittelt, wurde nach geraumer Zeit von einem Professor fuer Buergerrechte etwas
relativiert, der zu bedenken gab, dass "vote-auction" eventuell eine Form von
"Satire oder Strassentheater" sei und in diesem Fall vom First Amendment
geschuetzt werde. Die Rechtsexperten zeigten sich allerdings nicht beschwichtigt:
"Wenn es als Cartoon in einer Wochenendausgabe erscheinen wuerde, koennte man es
als Spass verstehen. Gewissen Berichten zufolge sollen aber drei- bis viertausend
Angebote zum Stimmenverkauf eingegangen sein."

Im Anschluss an die Video-Vorfuehrung berichtete lizvlx von den zweifelhaften
Methoden, mit denen die US-Justiz gegen "[V]ote-Auction" vorging. Der Staat
Missouri etwa klagte nicht wegen Stimmenverkauf, sondern aus
Konsumentenschutzgruenden, wegen falscher Versprechungen ­ weil "[V]ote-Auction"
etwas verkaufe, was gar nicht verkauft werden koenne. Der Nachbarstaat klagte
gerade wegen dieses VerkaufsŠ Das "legal spamming", das per Fax ueber ubermorgen
hereinbrach, nahmen die KuenstlerInnen zum Anlass fuer eine neue Aktion namens
"Injunction Generator", mit dem "einstweilige Verfuegungen" gegen Websites und
Domains nach US-Recht erstellt und verschickt werden koennen. Dabei interessiert
ubermorgen vor allem, welche Gruende angefuehrt werden, um eine Website zu
schliessen, und in welchen Laendern es am besten funktioniert. ubermorgen selber
denkt daran, in Zukunft von Kasachstan aus zu operieren, weil dort der
Ansprechpartner fehle, um eine Website abschalten zu lassen. Die Motivation,
"[V]ote-Auction" zu machen, betonte lizvlx, sei nicht, "aufzuzeigen: ach, es ist
so schlimm, alle werden gekauft, und die Demokratie ist in GefahrŠAmerika ist
kein demokratisches Land, ich habe es nie so empfunden. Ich kenne auch nicht
besonders viele demokratische Laender, insofern ist es kein grober Vorwurf. Was
soll daran schlimm sein, wenn man Demokratie und Kapitalismus einander naeher
bringt? Wir glauben doch an beides so sehr, also muss es noch viel besser sein,
wenn beides zusammenkommt ­ die Heirat der beiden Goetter der aktuellen Welt. Ich
glaube nicht, dass wir ein neues System brauchen, es geht eher um die Zerstoerung
der alten Systeme. Die Faulheit, die es obsolet macht, ueber Demokratie zu
diskutieren, ist die gleiche Faulheit, die es auch moeglich macht, dass man
Wahlbeteiligungen hat, wo man sagen koennte: Machen wir es doch wieder wie die
alten Griechen, und schliessen wir die Leute aktiv von der Wahl aus und nicht
sozusagen passiv, weil sie selber nicht gehen. Ich habe insofern eine sehr
negative Einstellung gegenueber der Demokratie, als sie einfach nicht
funktioniert. Ich waere dafuer, wenn man die Leute zwingen wuerde, waehlen zu gehen.
In Amerika gehen 25% der wahlfaehigen Leute waehlen, und dann wird der Typ
Praesident, der nicht die Mehrheit der Stimmen bekommen hat. Da ist mir die
Anarchie schon lieber, oder auch das nette kleine Beispiel der Monarchie [Anm.:
Liechtenstein], weil wir da eine klare Ansage haben. Die einzige Demokratie, die
ich schaetze, ist die der kapitalistischen Maerkte, weil es die einzige ist, wo man
eine echte Öffentlichkeit hat, die eine Kontrolle ausuebt ­  nicht  nur alle vier
Jahre, wenn gewaehlt wird, sondern staendig, indem das Produkt gekauft wird oder
eben nicht. Insofern bringt es etwas, ueber Kapitalismus zu diskutieren, wenn man
ueber Demokratie diskutiert. Diese beiden Dinge sind naemlich schon lange
ausgewechselt worden, nicht etwa zusammengewachsen, sondern ineinander verkehrt.
Interessant ist nicht die Hierarchie ­ dass die internationalen Unternehmen die
Demokratie ueberrannt haben ­, sondern diese Vertauschung. Ein demokratischer
Mensch muesste eine gute Auswahl an Produkten treffen und die richtigen Marken
kaufen. Dazu sind aber die richtigen Demokraten zu faul, es funktioniert also
auch nicht richtig. Ich bin Kuenstlerin und keine Politikerin, und das macht mich
froh. Fuer mich ist es keine Sackgasse, sondern eher eine Freude und ein Anreiz zu
neuen Arbeiten."

Vgl. auch www.bmdi.de und www.gatt.org