Bitte hier klicken! Bitte hier klicken!

 

 SZonNet-Home  leer

 SZonNet
 SZonNet aktuell

 Süddeutsche Zeitung
22.12.99
Feuilleton
 Täglich
 Wöchentlich
 Service

Hier klicken!
Deutschlandwetter
Und wie wird das Wetter in Ihrer Stadt?

 vorheriger Artikel
 nächster Artikel
nach unten


Spiel und Ernst

Künstlergruppe gegen Konzern –
ein Namensstreit im Internet

Kurz vor Weihnachten 99 spielt die Internet-Community „Toywar“. Ein Spiel, bei dem die ganze Welt mitmachen kann. Für den Anfang wird mit mindestens 10  000 Mitspielern gerechnet. Netzkünstler, Hacker, Internetaktivisten und Medientheoretiker aus aller Welt rufen seit ein paar Tagen dazu auf, den E-Business-Giganten „eToys“ zur Strecke zu bringen. Vom banalen Boykott über E-mail-Kampagnen und digitale Sit-Ins bis hin zu speziell entwickelten „Anti-eToys-Programmen“ und direkten Angriffen auf die Server sind alle Mittel des digitalen Widerstands recht. Ziel: Den Börsenkurs des drittgrößten E-Business-Anbieters schnellstmöglich runterzubringen.

Auslöser des Aufstands im Netz ist ein in der Tat ungeheuerlich anmutender Präzedenzfall: Am 29. November verbot ein kalifornischer Richter der europäischen Künstlergruppe „etoy“, ihre Webseite weiter unter dem seit 1995 registrierten Domain-Namen „etoy.com“ zu verwenden. Anlass war eine Klage des Spielzeugversands „eToys“. Dieser erwarb zwei Jahre nach den Künstlern die Domäne „etoys.com“ und führt nun angesichts der Verwechslungsgefahr mögliche Umsatzeinbußen an.

Hatte ein solches Ansinnen unter Internetexperten vorab allenfalls Achselzucken ausgelöst, wuchs die Affäre nach der Urteilsverkündung zum Alptraum der Netzgemeinde aus. Ein Konzern mit einem Börsenwert von sechs Milliarden Dollar scheint aus purem Gewinnstreben in der Lage zu sein, eine künstlerisch ambitionierte Homepage zu schließen, bloß weil sich rein zufälligerweise die Domain-Namen ähneln? Die Argumentation der Konzernanwälte ist gewagt: Eine Dialogbox, die den Besucher der einstigen „etoy“-Seite anblafft: „Get the fucking flash plugin!“ wurde als pornografischer Inhalt identifiziert, welcher „eToys“-Kunden, die sich versehentlich im Netz verirrt haben könnten, davon abhalte, je wieder eine entsprechende Kaufabsicht zu hegen.

Geheuchelte Prüderie als lächerlicher Vorwand in einer Auseinandersetzung, in der es um nichts anderes geht, als um die Machtfrage im Netz: Wem gehört das Internet? Allen und niemandem, wie es sich die Pioniere in ihren Utopien erträumten, oder denen, die auch in der wirklichen Welt die Macht haben? Wer hat das Recht, über Interessenskonflikte zu entscheiden? Und wo wird in einem Zweifelsfall dieses Recht gesprochen?

Bislang galt bei Domain-Streits die recht pragmatische Maxime: „First come, first serve“ – Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Bemerkenswert ist, dass fünf Jahre nach dem großen Boom und an der Schwelle zum weltweiten Massenkommerz im Netz offenbar nicht mehr über die Inhalte der Kommunikation gestritten wird. Die Auseinandersetzung hat sich in die „Location Bar“ verlagert und ist dort auf eine gewisse Art und Weise real geworden.

Statt um strafrechtlich relevante Aussagen, die aus der Papierwelt in die endlosen Weiten des Netzes entwichen sind, geht es heute um bares Geld. Eine eindeutige, von den Benutzern intuitiv erfassbare und auch zu behaltende Identität gilt als Voraussetzung für gute Geschäfte und ist praktisch unbezahlbar. Entsprechend hart sind die Verteilungskämpfe um die begrenzte Zahl der Kennungen. Der alte Eigenname aus der Offline-Welt und das nationale Namens- und Markenrecht sind in diesem Zusammenhang Schnee von gestern.

Einen Namen haben sich auch „etoy“ gemacht. Im Medienkunstmilieu sind die Netzrabauken für einen cleveren Mix aus Hedonismus, Pop und Technomystik geschätzt. Für den früh erbrachten Beweis, wie leicht Suchmaschinen zu manipulieren sind, gab es 1996 gar die Goldene Nica beim „Prix Ars Electronica“. Dass nun ausgerechnet „etoy“ zu heroischen Kämpfern für die letzten Reservate der Unschuld im Netz erkoren werden, passt wie die Faust aufs Auge. Stilsicher schlagen die Künstler Offerten von „eToys“ über inzwischen angeblich mehrere hunderttausend Dollar gegen den freiwilligen Verzicht auf ihren Domain-Namen aus. Sie setzen auf die Verhandlung der Hauptsache am 27. Dezember – gleich nach Abschluss des Weihnachtsgeschäfts.

Und sie setzen auf ihren Erfolg: Seit dem Beginn der Kampagne sei die Aktie von „eToys“ um ein Drittel ihres Wertes gefallen. Der Konzern selbst dementiert, durch den Netzaktivismus beeindruckt zu sein. Trotzdem spitzte sich die Auseinandersetzung weiter zu: Obwohl „etoy“ allen gerichtlichen Forderungen Folge leisteten, sperrte „Network Solutions“ die E-mail-Adressen der Künstler. Weiter Öl ins Feuer gießen die US-Medien, die den Widerstandsaktionen eine gewisse Effizienz bescheinigen. Auch Unbeteiligte kriegen Probleme: „The Thing“, ein New Yorker Netzkunst-Server, wurde auf Betreiben von „eToys“ am Freitag für 13 Stunden blockiert – weil dort das „Electronic Disturbance Theater“ zum virtuellen Sit-In vor den Webseiten von „eToys“ aufruft. (http://www.toywar. com)

FLORIAN SCHNEIDER

SZonNet: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutscher Verlag GmbH, München
Aktuelle 		Nachrichten





  extra







Staccato aus Rio

Das Champagnerdossier

Evolution

Japan-Aktien

Konzertkritik: Suede

Fernweh: British Virgin Islands

Jahrhundert-Münchner

Test: Apple i-Book

Ton des Tages

Gen-Therapie

Microsoft-Encarta

Zehn Jahre Mauerfall

America´s Cup

De Konstruction

Internet-Wörterbuch

 
   News: 24h
   * LETZTE MELDUNGEN
   * POLITIK
   * THEMA DES TAGES
   * WIRTSCHAFT
   * SPORT
   * KULTUR
   * VERMISCHTES
   * WISSENSCHAFT
   * REISE
   * WETTER
nach oben
 vorheriger Artikel
 nächster Artikel
 

Copyright © Copyright © 1995 - 1999 - Süddeutsche Zeitung. Diese Seite wurde am 21.12.99 um 20:23 Uhr erstellt. SZonNet 3.17
Server provided by GMD. Screendesign by BaseLab.