Toby Lenk ist der operative Chef des Spielzeughändlers eToys.

  Quick Klick

Homepage

Money

Wetter

Archiv+suchen

Newsletter

Portal TA-Online

Ressorts

Sport

Wirtschaft

Inland

Ausland

Hintergrund

Kehrseite

Stadt Zürich

Stadt Winterthur

Region Zürich

Kultur

Medien

Leserforum

 Print Specials

Wissen (Di-Fr)

Computer (Mo)

Auto (Di)

Technik (Di)

Ernst (Mi)

Savoir-vivre (Sa)


22.12.99



15000 Dollar im Tag für die Anwälte

Ein Internet-Spielzeughändler macht der Schweizer Künstlergruppe etoy mit Hilfe der Justiz den Namen streitig. Doch vor dem nächsten Gerichtstermin wachsen die Sympathien und die Solidarität spürbar.

Von Jürgen Kalwa, New York

Die einen trugen rote Nikolaus-Kostüme, weisse Bärte vor dem Gesicht und hielten Plakate mit Slogans wie "Schäme dich, eToys" und "eToys hat meine Elfen verspeist". Andere tuteten in kleiner Blasorchesterbesetzung laut und fröhlich ins Blech, während nebenan ein hauptamtlicher Reverend vom Times Square eine lebensgrosse gekreuzigte Mickymaus aufbaute und brüllte: "Niemand kann die Identität eines Künstlers stehlen. Halleluja." Sie gehörten zu einer improvisierten Zusammenkunft vor dem angesehenen Museum of Modern Art, wo sich am Montag zum ersten Mal in den USA eine Koalition aus Kunstschaffenden und politisch motivierten Internetbenutzern öffentlich gegen die Attacke des kalifornischen Internet-Spielzeughändlers eToys auf die Multimedia-Künstlergruppe etoy wandte.

Das vorweihnachtliche Protest-Happening gab dem formaljuristischen Streit um die Benutzung des Internet-Domain-Namens etoy.com, der vor einigen Wochen mit der einstweiligen Anordnung eines kalifornischen Gerichts gegen die in Zürich ansässige etoy Corporation in eine kritische Phase getreten war, eine neue Dimension. Es zeigte, dass hinter einem abstrakten und für Laien schwer verständlichen Zwist um den Schutz von Marken- und Warenzeichen im Internet mehr steckt. Nämlich eine etoy-Solidargemeinschaft aus politisch sensibilisierten Menschen, die alle befürchten, dass die neuen Aktienbarone des digitalen Zeitalters alsbald das Medium nach Gutdünken regieren.

Dies sei, so warnte der Sozialwissenschaftler und offizielle etoy-Berater Douglas Rushkoff von der New York University, der "Anfang des Unternehmensfaschismus" im Cyberspace, den es zu verhindern gelte. Und zwar auf allen Kanälen. Während die preisgekrönten Kunstpioniere aus der Zürcher Zwinglistrasse den Kampf vor Gericht führen, agitieren ihre Freunde sowohl in Amerika als auch weltweit mit Massen-E-Mail-Kampagnen und virtuellen Sit-Ins, bei denen zeitweilig wichtige Internet-Server blockiert werden. Eine Aktionsgruppe mit dem Namen RTMark rühmte sich am Wochenende, den Zentralcomputer von eToys mit einem Bombardement aus falschen Kaufwünschen auf Schleichtempo runtermanipuliert zu haben.

Spekulative Gewinnerwartungen

Der Fall etoy hat die Gemeinde der Internetidealisten aufgeschreckt. Denn er zeige, so Rushkoff, die wachsende Bedrohung für denjenigen, der den Wirtschaftsinteressen so genannter E-Commerce-Firmen in die Quere komme. "Noch im Jahr 1994 war das Internet kommerziellen Interessen gegenüber gesperrt. Benutzer mussten ausdrücklich erklären, dass sie kein Geschäft betreiben, um eine Zulassung zu bekommen."

Heute zahlt eine Firma wie eToys "15 000 Dollar pro Tag an ihre Anwälte, um uns kaputtzumachen". So beschreibt der Pressesprecher von etoy in Zürich, der unter dem Künstlernamen Zai agiert, den Wandel der knallharten Internetrealität, in der immer mehr Unternehmen operieren, die wie eToys "jedes Quartal 40 Millionen Verlust machen, aber" - dank der spekulativen Erwartungen der Aktionäre - "einen Börsenwert von 5 Milliarden haben".

Deren Interessen waren es, die Richter John P. Shook vom Superior Court of the State of California zu schützen trachtete, als er den Zürcher Künstlern am 29. November unter Androhung einer beträchtlichen Busse bis auf weiteres untersagte, eine Website unter dem Namen www.etoy.com zu betreiben.

Die harte eToys-Taktik, die mit einer freundlichen Offerte von 500 000 Dollar für die etoy-Namensrechte begann, ist kein Einzelfall. Eine französische Finanzberatungsfirma mit Namen Leonardo schaffte es unlängst, die Pariser Polizei dazu zu bringen, die Räume einer Kunstzeitschrift gleichen Namens durchsuchen zu lassen. Das Verfahren basiert auf einer Schadenersatzforderung von umgerechnet 1,5 Millionen Franken. In einem anderen Fall im US-Bundesstaat Virginia zerrte der Volkswagen-Konzern das kleine Internetunternehmen Virtual Works vor Gericht, weil es die Herausgabe der Adresse www.vw.net erzwingen wollte. Immerhin kam dabei ein Bundesrichter zu dem Schluss, dass der deutsche Automobilriese nicht bewiesen habe, dass ihm ein "irreparabler Schaden zugefügt" worden sei, und schmetterte den Antrag auf eine einstweilige Anordnung ab.

Auf eine ähnliche Entwicklung hoffen auch die etoy-Leute. Denn erstens hatten sie ihren Namen bereits 1995 ordentlich registriert - zwei Jahre vor eToys. Und zweitens verkaufen sie kein Spielzeug. Das ist deshalb wichtig, weil das amerikanische Marken- und Warenzeichenrecht erst bei direktem Wettbewerb zweier Unternehmen eine Verwechslungsgefahr unterstellt.

Recht auf freie Meinungsäusserung?

Doch kein neutraler Beobachter vermag zu sagen, zu welcher Entscheidung die Justiz gelangen wird. Zu viele Fragen bleiben nach der Einmischung von Richter Shook offen: Zählen die Interessen eines Unternehmens mit einem Börsenwert von mehreren Milliarden Dollar mehr als das Existenzrecht eines kleinen Namensnachbarn? Kommen nichtamerikanische Firmen, die sich im .com-Revier der USA tummeln, grundsätzlich schlechter weg? Gewinnt am Ende die Seite mit den besseren Anwälten? Oder gilt im Internet noch das verfassungsmässige Recht auf freie Meinungsäusserung?

Shook hat den nächsten Gerichtstermin auf den 27. Dezember angesetzt. Worauf man bei eToys in Santa Monica, wo man sich mit Meinungsäusserungen auffällig zurückhält, mit der offiziellen Stellungnahme zusteuert: "Wir hoffen auf eine einvernehmliche Lösung." Der Wunsch ist verständlich, denn fast alle Presseveröffentlichungen, Fernsehbeiträge und Radio-Features quer durch die USA rücken das aggressive Unternehmen in ein schlechtes Licht.

Keine Kompromisse

Den bequemen Weg, einen Verkauf der Namensrechte, lehnen die etoy-Kämpfer strikt ab. "Es wäre das Gleiche, wenn wir sie dazu zwingen würden, einen anderen Namen zu benutzen", erklärte Zai. Der Name etoy sei "auf jedem Kunstwerk und vielen Büchern und Magazinen verzeichnet", und es sei unmöglich, ihn zu ändern. Es sei denn, man beendet das Projekt, dessen Agitprop-Haltung unter dem enormen juristischen Druck aus den USA seine besonderen Weihen erhalten hat. (Zai: "Es ist eine Fortsetzung der Kunst.")

Zum Zapfenstreich kann es immer noch kommen, auch wenn man in der Zwinglistrasse seit zwei Monaten "18 Stunden pro Tag" damit beschäftigt ist, die Gefahr abzuwenden. Zumindest wenn man der Logik des neutralen amerikanischen Juristen Michael Lindsey folgt, der auf Internetrechtsfragen spezialisiert ist. Der räumt dem Spielzeughersteller gute Chancen ein. "Ob das allerdings global betrachtet die angemessene Lösung wäre, sei dahingestellt. Menschen in Europa machen sich schon jetzt grosse Sorgen, dass die Vereinigten Staaten sich das Internet als eines ihrer Territorien einverleiben."

Ein Kompromiss, bei dem sich etoy aus dem US-Rechtsbereich und zum Beispiel auf die Schweizer .ch-Internetregion zurückziehen würde, kommt nicht in Frage. "Wir haben uns von Anfang an geweigert, als Schweizer aufzutreten. Wir sind international", erklärte Zai am Montag gegenüber dem TA. "Die Leute leben in Deutschland, Österreich, Italien und England. Mit .ch ist das Konzept der Globalität zunichte gemacht."


Top