Wenn Sie in Mitteleuropa leben, haben Sie mit grosser Wahrscheinlichkeit Ihre Weihnachtsgeschenke auch heuer nicht über das Internet erstanden. So scheuen denn beispielsweise mehr als drei Viertel aller deutschen Surfer den Adventsbummel im Netz, wie unlängst «News-Board» berichtete. Da würden Sie schon zur Konsum-Avantgarde gehören, wenn Sie den Christbaum beim Stadtzürcher Waldamt online bestellt hätten.
Ganz anders - man ahnt es - verhält es sich in Amerika. Auf vier Milliarden Dollar schätzt dort das Marktforschungsunternehmen Forrester Research die diesjährigen Online-Weihnachtsausgaben, 900 Millionen Dollar wurden in den USA im Netz allein in der ersten Dezemberwoche für Geschenke locker gemacht - sechzig Prozent mehr als in der Vorwoche. An der Spitze aller Verkaufs-Sites liegt mit einem Sechstel des Umsatzes und fast 1,4 Millionen Käufern die Spielwarenbranche, deren jährliche Einnahmen insgesamt (on- und offline) mit 23 Milliarden Dollar beziffert werden.
Dieser Markt ist, wie man sich leicht vorstellen kann, heiss umstritten. Der gewichtigste Kämpfer war dabei lange Zeit der mit gegenwärtig noch vier Milliarden Dollar kapitalisierte Online-Händler eToys aus dem kalifornischen Santa Monica. Mehr als hunderttausend Artikel befänden sich in seinem Sortiment, und an über eineinhalb Millionen Kunden will der Spielzeug-Vertreiber schon Waren verkauft haben - bei einem Verlust von 45 Millionen Dollar zwar, aber das spielt im Internet bekanntlich keine Rolle, geht es doch einstweilen vor allem um Marktanteile (mehr zur Internet-Ökonomie hier).
Vor seinem Börsengang im vergangenen Mai setzte eToys den Preis seiner Aktien auf damals überraschend hohe 20 Dollar an. Die Investoren folgten, so dass die Papiere ihren Wert am Ende des ersten Tages beinahe vervierfacht hatten. Inzwischen ist der Kurs auf rund dreissig Dollar gesunken. Der Grund für diesen massiven Sturz könnte in dem liegen, was ein Kommentator des «Industry Standard» als «den heute vielleicht wichtigsten <Dot-com>-Rechtsstreit» bezeichnet. - Doch dazu später, immerhin wird eToys nahe Zukunft von einem Börsen-Experten auf «Internet.com» einstweilen noch als positiv bewertet.
eToys grösster Konkurrent ist Toys R Us (Martkwert: knapp sechs Milliarden; Umsatz: elf Milliarden; Verlust: 132 Millionen), der mit seinen 1500 Warenhäusern in 25 Ländern im Spielwarenhandel schon ein festes Standbein besitzt. So war denn das im Juni anlässlich eines Relaunches vom Toysrus.com-Leiter Bob Moog genannte Ziel folgerichtig die Marktführerschaft. Doch nach seinem Abgang kamen die Online-Aktivitäten des Spielwarenriesen ins Wanken, und kurz darauf verliess auch CEO Robert Nakasone Toys R Us; wahrscheinlich, weil das Unternehmen sich zu keiner klaren Online-Strategie hatte durchringen können.
Das dritte Schwergewicht ist die grösste Ladenkette Amerikas, Wal-Mart, die nach der Überrundung von Toys R Us im Offline-Handel nun auch im Internet eine stärkere Position einzunehmen beabsichtigt.
Zudem hat als vierter Kontrahent Amazon den Spielplatz betreten. Nachdem verschiedentlich über eine Ausweitung des Geschäftsfelds spekuliert worden war, eröffnete der einstige Buchhändler und «König des Online-Handels» (Amazon-CEO Jeff Bezo wurde diese Woche von «Time Magazine» zur «Person des Jahres» gekürt) im Sommer tatsächlich eine neue Rubrik mit Spielzeug.
eToys konterte darauf mit dem Verkauf von Kinderbüchern. Zudem wurde Anfang September ein Ableger in Grossbritannien eröffnet, von dem Analysten vermuten, er stelle nur den Beginn einer Expansion nach Europa dar. Überdies verstärkte eToys seine Marketing-Anstrengungen im Hinblick auf den Weihnachtsverkauf massiv. So entstand beispielsweise eine Zusammenarbeit mit dem Kleider-Giganten Gap (weltweit über 1900 Geschäfte), und eine 18 Millionen Dollar teure Vereinbarung mit Amerikas grösstem Internet-Service-Anbieter AOL wurde getroffen. Auf dessen verschiedenen Plattformen - darunter der nach Amazon am zweithäufigsten besuchte Online-Handelsplatz Shop AOL - bietet eToys nun Spielwaren an. Allerdings hat inzwischen auch Toys R Us aufgeholt, unter anderem mit einem ähnlichen Vertrag mit AOL sowie mit weiteren Kooperationen.
Ein ambitiöser Newcomer ist ausserdem der auf «lehrreiche» Spielsachen spezialisierte Toysmart, der vor kurzem von Disney zu sechzig Prozent übernommen wurde und nun grosse Expansionspläne hegt. Etwas unerwartete Konkurrenz erwächst offenbar auch aus dem Heer jener Spekulanten, die begehrte Artikel zusammenkaufen und auf Auktionen mit teilweise beachtlichem Gewinn versteigern (mehr zu Auktionen im Internet hier).
Soviel zur generellen Nervosität unter den Spielwarenhändlern. Im vergangenen August vertippte sich nun gemäss «Village Voice» der Enkel eines eToys-Kunden und landete ungewollt bei den Netz-Künstlern von etoy, wo er laut eToys-Firmensprecher Ken Ross auf «Gotteslästerung, Sadomasochismus und Terrorismus» stiess. Ein geharnischter Brief des Grossvaters folgte, auf Grund dessen das Online-Warenhaus die Künstlergruppe auf Verletzung der Schutzmarke und unlauteren Wettbewerb verklagte.
Denn plötzlich fürchtet eToys die Nachbarschaft zu etoy, weil man meint, dass weitere potentielle Kunden verwirrt und abgeschreckt werden könnten. Zumal die Netzaktivisten, die - wie hier schon im Zusammenhang mit Kunst im Internet erwähnt - 1996 den Prix Ars Electronica erhielten, ein Böse-Buben-Image pflegen, welches sich nicht besonders gut mit der Familienfreundlichkeit des Spielwarenhändlers verträgt. Anfang November wurde deshalb einem Bericht der in dieser Angelegenheit stark engagierten «Telepolis» zufolge im Los Angeles County Superior Court der Prozess zwischen den Fast-Namensvettern eröffnet. Drei Wochen später verfügte Richter John P. Shook, etoy dürfe seinen Domainnamen nicht mehr benützen. etoy, einst unter www.etoy.com zu erreichen, kann seither nur noch über die IP-Nummer http://146.228.204.72:8080 angesteuert werden; zu schwer wiegt die Drohung, bei Missachtung der richterlichen Verfügung täglich zehntausend Dollar Konventionalstrafe bezahlen zu müssen.
Bemerkenswert ist übrigens, dass die Künstlergruppe ihren Namen schon Ende 1995 und damit zwei Jahre vor dem Spielwarenhändler registrieren liess, weshalb es hier auch nicht um «Cybersquatting» geht. Vielmehr wird abzuklären sein, ob sich mit ihren Drohungen nicht eToys des «Reverse Domain-Name Hijacking», also der «umgekehrten Domainnamen-Entführung», schuldig gemacht hat (mehr zur Namensvergabe im Internet hier).
Wie dem auch sei, die rund hunderttausend Dollar in Beteiligungen und in Aktien, welche eToys für die URL bot, schlug etoy jedenfalls aus wie das gegenwärtig vier Mal so hohe Angebot. Der vorgeschlagene Namenswechsel beispielsweise zu etoy.ch - eine Adresse, die nebenbei bemerkt ohnehin schon von der Westschweizer Gemeinde Etoy registriert ist - komme nicht in Frage. «etoy.com war das Kunstwerk», erklärt ein sich Agent Zai nennendes etoy-Mitglied gegenüber der «New York Times». Deshalb würde ein Ende des Domainnamens gleichzeitig das Ende des Kunstwerks bedeuten.
Dieses Kunstwerk besteht unter anderem in der Persiflierung unternehmerischer Tätigkeiten. So ist es nicht erstaunlich, dass Szene-Kenner anfänglich vermuteten, der Gerichtsprozess stelle ein neues etoy-Projekt dar. Andrea Szeres vom Budapester Center for Communication and Culture (c3) etwa meint: «Die ganze Arbeit von etoy hat mit <Corporate Identity> zu tun. Es würde zu ihren Aktivitäten passen, sich in eine Klage verwickeln zu lassen und zu schauen, wie sie sich entwickelt.» Und tatsächlich hat etoy-Sprecher Zai inzwischen gegenüber der «Washington Post» verlauten lassen, die Klage habe sich jetzt zu einem riesigen Projekt entwickelt: «Dies ist eine Fortsetzung der Kunst.»
«Telepolis» bezeichnet die Anklage als grotesk. Die Argumente der Anklage, die auch «Village Voice» zum Kichern findet, könnten schwerlich als kohärent bezeichnet werden. «Dieses Verfahren verhandelt nicht die unfaire Nutzung von Domain Names, die Frage des Schutzes Minderjähriger oder die des Wertpapierbetrugs, wie eToys dem Gericht und der Öffentlichkeit glaubhaft machen will. Es geht vielmehr um den Versuch einflussreicher Unternehmen, ihre Interessen über alle anderen zu stellen.» Heikel sei dies insbesondere da, wo ein Urteil zum Präzedenzfall werde. Zurzeit sei nämlich noch nicht entschieden, ob die Beschlüsse der international operierenden ICANN oder ein Gesetz des amerikanischen Senats zur Anwendung komme. Die zentrale Frage heisst denn auch für «Wired News»: «Kann ein amerikanisches Gericht sich erkühnen, die internationale Landschaft der Internet-Kunst zu regulieren?»
Zu allem Übel hat sich nun Network Solutions (NSI) eingeschaltet und die Domain etoy.com geschlossen, was den Künstlern die Benutzung ihrer E-Mail-Adressen verunmöglicht. «Damit hat NSI seine Kompetenzen überschritten», wird die Kritik des Internet-Aktivisten John Perry Barlow von «Wired News» zitiert.
Im Prozess scheinen die Chancen für etoy verschiedenen Experten zufolge nicht so schlecht zu stehen. Allerdings hat der Unparteiische die Hauptverhandlung auf den 27. Dezember anberaumt - wenn die Weihnachts-Shopperei vorbei sein wird und eToys seine Schäfchen für dieses Jahr im Trockenen hat.
Zwischenzeitlich sind zur Unterstützung von etoy aber auch die Kampagnen-Site toywar.com von «The Thing»-Gründer Wolfgang Staehle eingerichtet sowie das Toywar Resistance Network (TRN) gebildet worden, wo zu Boykott und Mailflut aufgerufen und Geld für die rasch steigende Anwaltskosten gesammelt wird. Über verschiedene Projekte zur Schädigung des Spielwarenhändlers berichtet auch «Telepolis». Eines davon wird von RTMark als «Spiel» betrieben, dessen Ziel es gemäss Pressetext ist, eToys «zu schaden (oder möglicherweise sogar zu zerstören)». Die Aktivisten beabsichtigen, die Aktienwerte des Verkaufsriesen auf null zu bringen. Ganz erfolglos scheinen sie damit nicht zu sein, ist der Kurs - aus welchen Gründen auch immer - seit Beginn der Querelen doch um über fünfzig Prozent gesunken.
Verschiedene Hacker, so «Wired», hätten Etoy zudem angeboten, eToys-Server anzugreifen. Diese Angebote seien aber allesamt abgelehnt worden, da etoy nichts mit illegalen Tätigkeiten zu tun haben wolle. «Wir möchten den Prozess gewinnen», meint Sprecher Zai. Er warnt allerdings, verschiedene Internauten seien wütend und fühlten sich machtlos. «Wenn das so weitergeht, werden viele Leute zu Terroristen werden.»
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