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23.12.99

Forget X-mas. Get online. Join E-War!
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Constantin Seibt
Etoy im Exil:

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(Achtung Mac-UserInnen: Wer mit dem Internet Explorer dahinsurft, muss mit einem Totalabsturz rechnen. Der Netscape Communicator hat hingegen keine Probleme.)

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Sympathisierende
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Wird die in Zürich gegründete Internet-Kunstgruppe etoy ein 8,5-Milliarden-Dollar-Unternehmen zerstören? Die Chancen im spannendsten Cyberkrieg seit Bestehen des Netzes stehen nicht schlecht. Infowar – der Tipp für aufregende Weihnachtsferien.
Ein Frontbericht vom aktuellsten Cyberkrieg: etoy vs. eToys.
Das ideologische Weihnachtsgeschenk 1999 ist ein lang ersehntes Spielzeug – der gerechte Krieg. Ein Krieg wie von der Wunschliste: neu, erregend, unblutig, hart und fast risikolos. Und wie seit lange nicht mehr sind die Rollen verteilt: hier das Gute (hinterhältig angegriffen, aber wendig, seltsam und sympathisch) und dort das Böse (ein übler milliardenschwerer Konzern). Guerillero wird man durch Bewaffnung mittels Rechner und Modem. Und im Gegensatz zu den üblichen gerechten Kriegen stehen die Chancen gut, dass das Böse sein verdientes Ende erlebt.
Zapp! Chancen für Guerilleros sind ein Zeichen für ein unübersichtliches Gelände: auf freiem Feld walzen Finanz- und Feuerkraft der überlegenen Partei ungehindert jeden Gegner nieder. (Saddam Husseins strategischer Fehler war, in der Wüste statt im Dschungel Diktator zu werden.) Cyberspace ist (noch) eine wilde Gegend – unübersichtlich, enervierend, artenreich, gefährlich. Seine Fauna besteht aus Informationen: zerbrechliche Kreaturen, die von Aufmerksamkeit leben. Die Gesetze von Media-City sind grausam: Wer nicht wahrgenommen wird, stirbt. Das Netz ist somit notwendigerweise das Biotop des Hypes: Übertreibung ist die beste Art, um an die Portemonnaie-gekoppelte Wetware anzudocken, die man zwischen den Ohren trägt. Das Ziel aller Daten ist dein Kopf.

Kriegsgrund: Ein S
Das Ziel dieser Daten auch. So: Transfer this to your head: Es ist Krieg. Man braucht dich. Der Krieg zwischen etoy und eToys ist die beste Art, Weihnachten zu überstehen: ein Cyberwar zwischen einem Milliarden-Dollar-Spielzeug-Vertrieb und einer ausschliesslich im Internet agierenden Kunst-gruppe. Dass er im virtuellen Raum spielt, hat nichts über seine Schärfe zu besagen: für etoy geht es um fünf Jahre Arbeit, für eToys geht es im schlimmsten Fall um ein paar Milliarden Dollar.
Die Eskalation dreht sich um einen einzigen Buchstaben: ein «s». Jenes, das die Adresse www.etoy.com von www.eToys.com unterscheidet. Aufhänger war der empörte Brief eines Opas, dessen Enkel sich vertippt hatte und der statt fröhlichen Muppets und süssen Teletubbies plötzlich auf der erratischen Website von etoy gelandet war und dort auf obskure Bilder und den teilweise pornografischen Satz «Don’t fucking move. This is a digital hijack» traf – genügend Vorwand für eToys, etoy vor ein kalifornisches Gericht zu zerren: wegen Geschäftsschädigung, Pornografie, Aufruf zu Gewalt und Anlagebetrug.
Dies mit vollem Erfolg: am 29. November 1999 verbot der Richter des Los Angeles County Superior Court, John P. Shook, den Angeklagten «etoy» per einstweiliger Verfügung 1. eine Website mit der Adresse «www.etoy.com» zu führen, 2. den Namen «www.etoy.com» mit ihrem Project «digital hijack» weiterzuführen, 3. keine «etoy»-Aktien mehr an irgendeine Person «in den Vereinigten Staaten oder Kalifornien» zu verkaufen. Strafe bei Zuwiderhandlung: 10000 Dollar – pro Tag.
Das Perverse wie Neuartige dieses Urteils bestand darin, dass etoy schon zwei Jahre im Internet an der Arbeit war, bevor eToys überhaupt zu existieren anfing: Dass also eine reine Ähnlichkeit des Namens mit einem später gegründeten grossen Unternehmen genügt, um zur Namensänderung verurteilt zu werden. Bekannt waren vorher schon Fälle, in denen Leute attraktive Adressen verschnarchter Unternehmen wie www.mcdonalds.com für sich registrieren liessen und dafür eine Art Lösegeld kassierten – den Rekord brachen die Besitzer der Meta-Adresse www.business.com mit 7,5 Millionen Dollar. Aber hier lag der Fall eindeutig anders: die im Internet angesehene Pionierregel «first come, first serve» wurde um 180 Grad verdreht zum bananenrepublikanischen Schlager «law is where you buy it».
Der Fall erregte allein deshalb Aufsehen, weil eToys etoy am Ende eine halbe Million Dollar geboten hatten. Etoy.AGENT Zai: «Tja, es fing im Frühling an. Sie boten uns per E-Mail 30000 Dollar. Wir schickten einen Smiley zurück. Wir haben sie nicht ernst genommen und praktisch gesagt, kommt nochmal zur Tür herein und klopft vorher anständig an. Sie haben uns gefragt, wie viel wir wollten. Wir sagten, bei einem 750000-Dollar-Gebot ihrerseits könnte man mit Verhandlungen anfangen. Sie sagten, wir seien verrückt und höchstens 10 Prozent wert. Also waren sie schon auf 75000. Dann klagten sie uns ein. In der Nacht vor der ersten Verhandlung riefen die Anwälte uns an und boten 160000 Dollar – in der Hoffnung, dass wir nervös wären. Unsere Anwälte rieten zu einem Deal, aber etoy.BOARD kam bei einer Sitzung zum Schluss: Nein, wir kämpfen. Und dann rief uns der Chef der Rechtsabteilung von eToys an und sagte, man könne alles regeln. Er bot 560000 Dollar. Das haut sie um, dachte er. Hardcore. Aber wir entschlossen uns zu sagen: Fuck off.»
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