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23.12.99

Forget X-mas. Get online. Join E-War!
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Constantin Seibt
Etoy im Exil:

Website
(Achtung Mac-UserInnen: Wer mit dem Internet Explorer dahinsurft, muss mit einem Totalabsturz rechnen. Der Netscape Communicator hat hingegen keine Probleme.)

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Sympathisierende
Websites
Der E-business-Hype
560000 Dollar für vier Buchstaben … stattdessen enorme Anwaltskosten … und die nicht geringe Drohung, über Jahre hinweg gegen die 30-köpfige, mit allen Wassern gewaschene Anwaltskanzlei eines Milliardenunternehmens antreten zu müssen … Scheisse, hätten Sie es gemacht?
Natürlich hätte auch etoy.com seinen Preis gehabt, wahrscheinlich denselben wie der Diplomat Talleyrand, der seine Unbestechlichkeit wie folgt beschrieb: «Ich stehe bis zu einer Million.» Andererseits … aber dazu später. Wie aber stand es mit eToys Motivation (ausser instinktiver kapitalistisch-imperialistischer Bösartigkeit)?
eToys HomepageDer Spielzeugverteiler eToys ist mit 500 MitarbeiterInnen das drittgrösste E-Business-Unternehmen der Welt – im Sommer wurde es noch auf 8,5 Milliarden Dollar bewertet. E-Business-Unternehmen sind brandneue, monströse ökonomische Gebilde: Firmen, die an sich aus nichts als einer Website und einigen gekühlten Servern in der kalifornischen Wüste bestehen und Ware günstig per Post verschicken. (Das bekannteste ist Amazon.com.) Das Charakteristische an ihnen ist, dass sie (Amazon inbegriffen) minimale Umsätze und konstante Verluste machen – bei unglaublich hohen, wenn auch extrem schwankenden Aktienkursen. Das 8,5-Milliarden-Unternehmen eToys etwa machte 1998 30 Millionen Umsatz, die Rechnung für das dritte Quartal 99 sieht wie folgt aus:
• Online-Verkäufe: $ 13,306 Mio.
• reine Online-Betriebskosten: $ 16 Mio.
• gesamter Quartalsverlust: $ 45 Mio.
Kurz: E-Business ist pure Spekulation. Spekulation auf exponenzielles Wachstum, Spekulation darauf, auf Kosten abserbelnder Mitbewerber ein Microsoft-artiges Monopol zu bekommen, Spekulation mit dem ungeheuren Sex-Appeal des neuen Mediums.
Ergo: Das familienfreundliche eToys mit der quietschbunten Website ist ein gigantischer, nervöser Hype. Es ist nichts als Milliarden-Dollar gewordenes Image. Das Kommerz gewordene Prinzip Hoffnung persönlich.
Und deshalb – weil Image ein leicht beeinflussbarer, aber nicht messbarer Wert ist – wurde eToys durch den obskuren Nachbarn etoy nevös. Und machte einen Fehler. Und verlor seit dem 29. November zwei Milliarden Dollar an Wert.
Weil es Hype ist, und weil es Idioten managen, kann man eToys nun töten.

Zero Gravity means maximum Fight
Wie in allen Hype-Hochburgen – Werbung, Kunst oder in Teenager-Kreisen – ist das Wichtigste die Marke. Thirst is nothing. Brand is everything: Nicht umsonst heisst der meistzitierte Slogan des Kunst & Hightech-etoy-Kollektivs: «The popstar is the programmer is the architect is the designer is the manager is the system is etoy.»
Das einzige Produkt von etoy ist etoy: etoy ist ebenfalls nichts als Hype. («Aber ein verdammt gut designter», wie die Jury der Ars Electronica schrieb, die ihnen den 1. Preis für Websites 1996 verlieh.) Und deshalb ist etoy das Schlimmste, was eToys passieren konnte: etoy und eToys sind State-of-the-art-Brüder – zwei so genannte Zero-Gravity-Unternehmen, die konsequent auf reale Werte verzichten und ausschliesslich virtuell existieren – und Todfeinde, weil sie verschiedene Ziele haben: Verwirrung und Verkauf.
In ihrem temporären nichtvirtuellen Hauptquartier in einem Hinterhof der Zwinglistrasse (es sieht aus wie die legendären Garagen, in denen die ersten Computer entwickelt wurden: massenweise Technostuff, Aschenbecher, obskurer Müll auf Industrieregalen) erläuterten etoy.AGENT Gramzio und etoy.AGENT Zai (Letzterer in einer blauen, kugelsicheren Weste) die Geschichte: «eToys war das Beste, was uns passieren konnte. Pures künstlerisches Glück. Sie sind Hype, wir sind Hype. Sie sind eine Spielzeugfirma, das passt zu unserem Digital Entertainment. Sie sind ein Unternehmen, wir parodieren ein Unternehmen. Sie sind gefährlich, aber sie sind nicht mächtig wie Disney und sie haben keine Filialen wie Toys’R’us. Wir sind beide weltweite Brands. Wir sind eine Firma, also unfassbar: ein Einzelner könnte den Fight vor Gericht nicht durchstehen. Die 500000 Dollar waren uns egal. Die Attacke von eToys war eine Once-in-a-lifetime-opportunity. Eine perfekt gestaltete Website ist langweilig. Was wir wollen, ist impact – die Schnittstelle zwischen abstrakt und real. Wir werden aus dem Kampf gegen eToys ein Kunstwerk machen.»

Der Krieg
Virtuell leben heisst in den Medien leben: Dein Puls misst sich am Echo. Der Fall etoy schlug im Internet und in der amerikanischen Presse ein wie eine Bombe: «USA Today», «Village Voice», «Time», «CNN», «Washington Post», «New York Times», dann «Wired», «Slashdot», «Salon», «Telepolis»: Es war die Netz-News des Jahres. Dutzende von Internetseiten wie www.eviltoys.com, www.hell.com, www.rtmark.com riefen zum Kampf gegen eToys auf. (siehe auch den Link «Sympathisierende Websites» oben in der linken Spalte)
Was die Netzgemeinde erregt, war die politische Aktualität des Falls: Soll das Internet ein demokratisches oder kommerzielles Medium sein? Wird es den schurkischen eToys gelingen, einen Präzedenzfall zu schaffen? Siegen die Konzerne nun auch im Web? – Nicht erstaunlich, dass die Reaktionen zahlreich und radikal waren: Boykottaufrufe, E-Mail-Kampagnen, Beleidigungen gegen eToys «undisputed Kings of SUCKASS» (www.pigdog.com). Das grösste Echo erzielte «rtmark», die zur Zerstörung von eToys aufrief: Mittels Imageschädigung, Aktionärsbeeinflussung, Registrieren von Adressen wie etoyss, hetoys etc., Flooding und Hacking die Aktie von eToys auf den Wert von $ 0 zu bringen.
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