RTMark
Douglas Rushkoff
16.08.99
Ein Unternehmen unterstützt Medienaktivisten im Kampf gegen Corporate America
Ich glaube, ich habe jetzt endlich die Methode hinter der Verrücktheit einer auf hysterische Weise lustigen, aber überraschend einflussreichen Website namens RTMark
verstanden. Der Name, den man "ArtMark" ausspricht, ist ein ungefähres Akronym für "eingetragenes Markenzeichen" (registered trademark) und eine gute Bezeichnung für dieses freche Investitionsprojekt in soziale Aktionen.
RTMark, offensichtlich eine Vermittlungsstelle für die Organisation und Finanzierung von Medienaktionen, ist ein Archiv, ein Netzwerk und eine Unterstützungsorganisation für den Agitprop des 20. Jahrhunderts in seiner besten Form. Aber letztlich ist diese künstlerisch geschickt gemachte Website vielleicht selbst ein Medienulk.
Das explizite Angriffsziel von RTMark ist Corporate America, also die riesigen Konzerne, die dank der Gesetzgebung aus den Tagen von Abraham Lincoln bürgerliche Privilegien ohne irgendeine Verantwortlichkeit genießen. In den USA haben Unternehmen alle Rechte von Bürgern, aber wenn sie etwas falsch oder sehr falsch machen, wird kein Mensch zur Rechenschaft gezogen. Das ist nach RTMark der Grund, warum Unternehmen weiterhin das Wasser verschmutzen und Tausende von Menschen wegen einer fahrlässigen Industriepolitik töten. Selbst wenn Unternehmen wegen einer Verletzung von Gesetzen belangt werden, müssen sie nur eine Geldstrafe bezahlen, um dann so weiter zu machen wie bisher. Niemand kommt ins Gefängnis.
Inzwischen können diese multinationalen Konzerne, die über mehr Geld als die meisten Länder verfügen, Wahlkampfspenden machen und Lobbyisten bezahlen, die ihnen einen größeren Zugang zur Politik und einen größeren Einfluss auf sie verschaffen, als dies jeder anderen Gruppe von "privaten Bürgern" möglich ist.
Um für die Parodien und Proteste zu werben, die die Aufmerksamkeit auf die Gier der Unternehmen und die daraus entstehenden Missetaten zu lenken, entwickelten die Gründer von RTMark eine einzigartige Idee: Benutze dieselben Maskeraden, die auch die Big Boys verwenden.
RTMark ist ein voll registriertes Unternehmen mit dem Geschäftsziel, die Gelder anonymer Spender zu den Spaßguerilleros zu bringen, die hoffen, die Vorherrschaft der Unternehmen zu brechen. Auf der Website von RTMark kann man durch Dutzende Vorschläge für einen Medienterrorismus scrollen, eine Aktion aussuchen, die man unterstützen möchte, und dann Gelder mit einem Mausklick anbieten. Das Unternehmen garantiert, dass der Spender nicht zur Rechenschaft gezogen wird, indem man sich auf dieselben Rechte stützt, die auch die leitenden Angestellten vor einer Schadensklage schützen, wenn sie Mist gebaut haben.
Der erfolgreichste "Spendenempfänger" von RTMark ist gegenwärtig wahrscheinlich "The Barbie Liberation Organization", ein anonymes Kollektiv von Medienaktivisten, die weltweit Schlagzeilen machten, nachdem sie die gespeicherten Stimmen von Hunderten von Barbiepuppen durch die der militärischen Spielfigur GI Joe vertauschten. Überraschte Käufer in 43 Staaten waren schockiert, als die Puppen ihrer Kinder mit der Stimme und den sexistischen Äußerungen ihrer angeblichen Geschlechtspartner sprachen.
Die Website bietet Dutzende solcher Möglichkeiten an, das Geld arbeiten zu lassen. Die einzige Regel ist, dass die Aktionen sich auf die Medien beschränken und niemandem körperlichen Schaden zufügen. RTMark bietet auch "gemeinsame Fonds" an, mit denen Spender eine Reihe von Aktionen unterstützen können, die von dem Leiter des Fonds geprüft und bewilligt werden.
Der "Medienfonds", der von dem Autor und Filmemacher Andrei Codrescu geleitet wird, widmet sich jetzt einer Reihe von Projekten, die sich mit dem Jahr-2000-Fehler beschäftigen. Ein von Codrescu für seinen Fonds ausgewähltes Projekt will ein Videoband mit der Aufschrift vertreiben, dass es "jedes Videogerät auf den Jahr-2000-Fehler überprüft. Wenn es abgespielt wird, soll es aufzeigen, dass die Hysterie um den Jahr-2000-Fehler nur ein Vorwand ist, der teilweise dazu dient, die voranschreitende Konsolidierung und Dominanz der Konzerne im Alltagsleben und in der Politik zu verschleiern."
Ironischerweise aber ist RTMark stärker von anderen Aktivisten als von den Konzernen kritisiert worden. Und dann gibt es auch die Frage, ob RTMark den Gruppen, die angeblich gesponsert werden, wirkliches Geld zur Verfügung stellt. Einige der Aktivistengruppen, die auf der Website als erfolgreiche Beispiele für die finanzielle Unterstützung aufgeführt werden, berichteten mir, dass sie bislang noch kein Geld erhalten haben.
Beispielsweise ist das Programm FloodNet des Electronic Disturbance Theater ein von RTMark als "Sponsor" unterstütztes Projekt, mit dem vom Pentagon und der mexikanischen Regierung betriebene Websites vorwiegend wegen der Zapatista-Bewegung angegriffen werden. Mit dem einfachen Internet-Hack überlasetet man die angegriffenen Websites mit Millionen von Zugriffen und macht sie so unzugänglich. Ricardo Dominguez, der Sprecher von FloodNet, sagt, dass ein bisschen Geld auf die Hand auch gut gewesen wäre, obgleich er die Unterstützung von RTMark bei der Öffentlichkeitsarbeit durchaus schätzt. RTMark spendierte jedoch den Programmierern von FloodNet ein paar Flaschen Bier, und die einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemachte Unterstützung führte nach Dominguez zu "einem großen Propagandarummel und einer für uns ausreichenden Bezahlung." Und das ist letztendlich vielleicht, was das Internet am besten kann.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer
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Verlag Heinz Heise, Hannover
last modified: 16.08.99
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