Von Kerstin Rottmann
London - Die Gewalt wohnt in einem Yuppie-Apartment. Hier lebt der namenlose Held von David Finchers Film "Fight Club". Sein Job langweilt ihn, Spaß macht nur das Geldausgeben. Die Wohnung ist sein Hort des Konsums. In einer Szene füllt sich der Raum mit Designermöbeln. Tische, Stühle, Schrankwand bis hin zur einsamen Blüte im Plastikkelch - eine makellose Wohnlandschaft entsteht. Nur er selbst stört die sterile Selbstgenügsamkeit. "Eines Tages lernst du, dass die Dinge, die du besitzt, anfangen, dich zu besitzen", heißt es einmal.
"Fight Club" artikuliert das Unbehagen über die konsumorientierte Kultur der neunziger Jahre, den Markenfetischismus, die abgeklärte Ironie der Postmoderne. Hinter den Slogans, den Werbebannern, der glitzernden Welt der Supermodels und Filmstars lauert die Leere. Finchers Protagonisten wollen sich spüren, wehren sich - Gewalt ist ihr Mittel.
Was im Film noch Fiktion ist, hat auch im wirklichen Leben Gestalt angenommen. "Anti-Corporate-Action" heißt die Kampfparole der modernen Konsum-Terroristen. Gegen die Macht der Konzerne haben auch Demonstranten unlängst in Seattle protestiert. Mit ihren gewalttätigen Aktionen sind sie jedoch in der Minderheit. Viel mehr, so glauben Aktivisten, Künstler und großstädtische Guerrilla-Gruppen, lässt sich mit dem Internet erreichen.
Auf ihren Web-Seiten werden die Parolen der Konsumgegner propagiert: Kampf den Konzernen, die die Welt mit ihren Produkten überschwemmen. Kampf der Globalisierung, die alle Traditionen und kulturellen Unterschiede verschwinden lässt. Kampf den Markenartikeln von MTV, Nike, Prada und McDonalds. "Culture-Jamming", glaubt die US-Gruppe Adbuster, die Werbelogos künstlerisch verfremdet, "ist nach dem Feminismus und der Ökobewegung die wichtigste Protestform dieses Jahrtausends."
Wie eine solche "Kulturstörung" aussehen kann, zeigte die Londoner Ausstellung "Crash!" Zwölf Künstler warfen im Institut for Contemporary Art (ICA) einen provokanten, ungemein unterhaltsamen Blick auf die Konsum- und Arbeitswelt der Neunziger. Das "politische Manifest" von "Crash!" liest sich so: "Die ,Lifestyle-Kultur' hat eine unnütze Generation von Kitsch-Fetischisten und oberflächlichen Karrieristen hervorgebracht. Jeglicher Inhalt ist der Ironie gewichen. In einer Gesellschaft, die von Bürokratie am Leben erhalten wird, findet ein gigantischer Umschichtungsprozess von Geld statt, von einer Firma zur anderen, allein im Interesse der Aktienbesitzer und niemandem sonst."
Aller Kapitalismuskritik zum Trotz - als Anarchisten, gar als Barrikadenstürmer verstehen sich Scott King und Matt Worley, die beiden Organisatoren von "Crash!", nicht. Ihre Strategie ist subversiver. Schlage das System mit seinen eigenen Waffen! Janice Kerbel zeichnet den idealen Bankraub minutiös auf; Matthieu Laurette lebte ein Jahr lang auf "Kosten des Systems", indem er Gutschriften, Geld-zurück-Garantien und Bonus-Punkte einlöst - und nun gibt er seine Tricks per Videoclip weiter.
Moderne Technik ist der Feind, den es zu nutzen und zu schlagen gilt. E-Mail, Fax, Internet, aber auch Aufkleber sollen die revolutionäre Botschaft verbreiten. "Übe den Rückzug", heißt einer, "Ironie ist keine Kritik, sondern die Mentalität eines Sklaven", warnt ein anderer.
Erfolg versprechend sind im Cyber-Zeitalter freilich ganz andere Wege. Carey Young, hauptberuflich Beraterin bei einer Informationstechnologie-Firma, sieht sich selbst als kulturelle Unternehmerin. In ihrer Performance am Londoner Speakers' Corner spricht sie folgerichtig über Kommunikations- und Präsentationstechniken. Noch einen Schritt weiter geht das Projekt "Szuper Gallery". Münchner Künstler wollen via Internet mit Aktien handeln und so aus 5000 gestifteten Pfund "ein kleines Vermögen" machen. Der Aktienhandel sei angeblich eine Kunst - das müsse auf Wahrheitsgehalt überprüft werden.
Für weitaus weniger profitable Ziele nutzen Aktivisten aus London oder New York das Netz. "Decadent Action" zum Beispiel, die ihre Wurzeln im anarchistisch angehauchten Polit-Untergrund haben. Ihr Slogan: "Shop now, riot later" - Warum arbeiten gehen, wenn die Bankautomaten gut gefüllt sind und der Kapitalismus das Schuldenmachen nur begrüßt? Ganz konsequent ruft "Decadent Action" zum besinnungslosen Geldausgeben auf - auf Kosten anderer. Ergänzt wird ihr Internet-Auftritt durch Aktionen wie den "Call in sick Day", einen Aufruf zur kollektiven "Krankmeldung".
Größere Breitenwirkung erzielten die Aktionen der Kunst-Terroristen "Artmark". Unter dem Namen "Barbie Liberation Organisation" (BLO) tauschten die Amerikaner 1993 in einem New Yorker Spielzeugladen bei hunderten von Figuren die Voicerecorder aus: Statt "Ich liebe die Schule, du nicht auch?" schnarrten die Plastikpuppen jetzt "Tote lügen nicht".
Gegründet wurde die Gruppe vor acht Jahren, die Mitglieder sind zumeist Akademiker und Professionelle aus der Informationstechnologie-Branche. Über 90 Projekte werden im Internet beworben (www.rtmark.com/). Das Prinzip ist einfach. Durch Spenden werden Fonds für spezielle "Aktionen" aufgesetzt, das Geld geht an Freiwillige, die die Kampagne durchführen.
Im letzten Jahr sorgte "Artmarks" mit dem "Beck Project" für Aufsehen. "Pop-Terroristen" fertigten aus dem unveröffentlichten Album des Popmusikers Beck eine eigene CD und vertrieben sie über das Netz. "Artmark" dazu: "Beck ist cool, aber trotzdem ein Produkt." Die Plattenfirma Geffen nahm angesichts des Pressewirbels von einer Anzeige Abstand.
Was ist das Original, was die Fälschung? In Zeiten zunehmender Produktpiraterie treffen die Internet-Piraten mit solchen Aktionen die Firmen an ihren schwächsten Stellen. Derzeit arbeiten Artmark an Imitationen von politischen und wirtschaftlich genutzten Websites. Prototype ist eine gefälschte Homepage von New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani (www.rudyyes.com). Auf den ersten Blick identisch mit dem Original, wechselt die glatte Wahlkampfrhetorik sich jedoch unvermutet mit Vorwürfen von Rassismus, Korruption und Gewalt ab. Ebenfalls im Netz: eine Imitation der Homepage von Jörg Haiders FPÖ (www.fpo.at).
Ähnliche Verwirrspiele betreiben seit einem Jahr die Londoner Aktivisten von "Molotov". Ihre Spezialitäten sind "Kulturelle Provokation" und "Guerilla-Kunst". Nach dem anarchischen Motto "Was immer es ist, wir sind dagegen" haben sich "Molotov" zum Schrecken der Londoner Kunstwelt entwickelt. Ihre Dada-ähnlichen Aktionen bestechen weniger durch Inhalt als Schrillheit. Bei fingierten Führungen durch die Tate-Gallery gibt der Sprecher plötzlich zu, moderne Kunst "einfach nicht zu verstehen"; regelmäßig werden Bananen auf Großskulpturen wie von Altmeister Henry Moore geworfen ("Manche Arbeiten sind reif für eine Attacke, reif wie eine Banane"); bei der Kunst-Ralley "Artrace 99" durch die National Gallery verteilten die Teilnehmer Bingo-Karten auf Gemälden mit nackter Haut und kahlen Schädeln.
So bedenklich wie diese Aktionen anmuten mögen - wirklicher Sachschaden entsteht bei den Kampagnen der "Culture-Jammer" selten. Auch Menschen kommen nicht zu Schaden. Anders als in "Fight Club" reichen in der Welt der Cyber- und Kunstterroristen ein paar Mausklicks oder auch der Gang ins Museum, um auf andere Gedanken zu kommen. "Crash!" drückt es so aus: "Es ist ein Büro. Es ist eine Ausstellung. Geh an die Arbeit!"
Aktionen im Internet:
http://www.adbusters.org
http://www.molotov.org.uk