Der Zwanzigsten Ausgabe der Ars Electronica im oberösterreichischen Linz ist ein Artikel der aktuellen «Weltwoche» gewidmet. Von «neuer künstlerischer Grammatik» ist darin die Rede, und Projekte wie rtmark, c5 oder Rhizome finden Erwähnung. Zudem wird auch die - zuverlässig bei jeder künstlerischen Neuerung auftretende - Frage angeschnitten, was denn da überhaupt Kunst sei.
Wir machen es uns diesbezüglich einfacher und begnügen uns einstweilen mit dem 1978 von Joseph Beuys geprägten und seither unendlich oft zitierten «erweiterten Kunstbegriff»: Jeder Mensch ist ein Künstler, Kunst aber kann nur in Freiheit entstehen.
Dass beim seit 1987 jährlich vergebenen Prix Ars Electronica ebenso leichtfertig verfahren wird, ist nicht anzunehmen. Die Verleihung des Preises an den Vorreiter der Open-Source-Bewegung Linus Torvalds - von dem wir hier schon berichteten - spricht aber zumindest dafür, dass der Ungebundenheit der Laureaten eine grosse Bedeutung beigemessen wird. Dies bestätigt auch die 1996 erfolgte Prämierung der gesellschaftskritischen Gruppe etoy. Offiziell geht es allerdings beim Prix darum, «jene kreativen Kräfte in aller Welt [zu vereinen], die die Grundlage des digitalen Wandels formulieren und durch ihre Arbeiten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen»
Mit Kunst im Internet befassen sich verschiedene online-Magazine wie Shift, d.pict, und ungewönliche Projekte gibt es zuhauf; genannt seien nur einige mehr oder weniger zufällig ausgewählte Sites wie art.net, Backspace, Brainstar, contour.net, easylife, Fractal-Art-Gallery, irational.org, Plexus, The Thing oder sero.org.
Mit diesen Aufzählungen ist aber noch nicht geklärt, worum es bei der Netzkunst eigentlich geht. Auf den enzyklopädischen Charakter des Internets - gerade in kulturellen Bereichen - sind wir hier schon wiederholt eingegangen, so etwa am Beispiel von Museen, alternativen Kulturzentren oder Comics. Dass das WWW zudem den Vertrieb von kulturellen Produkten neu organisieren könnte, wurde in den Bereichen von Literaturbetrieb oder Musikindustrie ebenfalls klar; vielleicht entsteht dabei sogar tatsächlich - wie hier unlängst in einem Bericht über das Schweizer Kulturnetprojekt Xcult vermutet - «ein neuer Künstlertypus, der die herkömmlichen Strukturen der Kunstvermittlung - Galerien, Kritiker, Ausstellungen - via Web unterläuft».
Doch im Internet steckt mehr kreatives Potenzial, ermöglicht das Medium doch eine neue Form der Interaktion mit den Rezipienten. Stattt blosser Betrachter ist man bei verschiedenen Projekten Mitschöpfer. Dadurch erhält auch jene literaturwissenschaftliche Vorstellung, ein Werk entstehe erst durch seine Wahrnehmung, eine Weiterung.
Das Internet ist daher - wie im genannten Artikel festgestellt - «ein kulturell kaum besetztes Terrain», in dem «mit den herkömmlichen Begriffen von Autorschaft und Authentizität [...] nicht mehr gearbeitet werden» kann (der Vollständigkeit halber erwähnt seien die ebenda aufgeführten Kunst-Sites Walker Art Center, Dia Center, Stadium oder Turbulence). Diesen Wandel illustriert beispielsweise das vor einem halben Jahr in einer Kolumne der «Neuen Zürcher Zeitung» erwähnte Projekt Graphic Jam, eine Site, auf der verschiedene Benutzer gleichzeitig malen und zeichnen, ohne einander zu kennen.
Insgesamt lassen sich - einem andern Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung» zufolge - gegenwärtig zwei Tendenzen feststellen: Einerseits ein Streben nach Immersion («Eintauchen»), also nach dem völligen Einbezug des Konsumenten; und andererseits eine Hinwendung zum Geschichtenerzählen. Allerdings erfassen diese Trends nicht nur die Cyber-Kunst, vielmehr seien sie beispielsweise auch in Theme Parks oder Computerspielen feststellbar.
Ein weiteres Charakteristikum der digitalen Welt stellen Grenzüberschreitungen dar. Denn durch die Digitalisierung können Texte, Töne und Bilder «nachgebaut» werden. Dadurch verschwindet zwar in der virtuellen Welt der stoffliche Charakter der dinglichen Realität. Gleichzeitig ermögliche die Entmaterialisierung dank des gemeinsamen binären Codes aber auch Umformungen von Filmen in Musik oder die Transformation von Gedichten in Bildern.
«Web-Kunst kann einschüchternd sein», entgegnet Amy Stone, Gründerin des Museum of Web Art (MOWA) auf den Vorwurf von «Wired News», das MOWA sei zu wenig avantgardistisch. Das Ziel sei es gewesen, meint Stone, einen behaglichen Ort zu schaffen, an dem die Besucher nicht ständig ihre Weltanschauung überdenken müssen. «Web-Kunst ist alles, was für das Web geschaffen worden ist und dessen Funktion mit dem Web in Beziehung steht.», lautet denn auch ihre griffige Definition.
Ein Ende der Netzkunst konstatiert hingegen «Telepolis», scheinen sich doch einige Vorreiter der Netzkunst bereits wieder andersweitig zu engagieren. Den Grund für diesen Rückzug vermutet der Autor des Artikels in der Tatsache, dass man im herkömmlichen Kunstbetrieb von der Netzkunst finanziell nicht überleben kann. Die Schuld daran ortet er bei Kuratoren, Kritikern und Institutionen, welche sich vor dem Diskurs um die Netzkunst drückten und ihn dadurch verkünmmern lassen - wodurch potentielle Geldgeber gar nicht erst auf die Idee kämen, sich für diese Art des Schaffens zu interessieren.
Wer nach so viel Nachdenken etwas Entspannung sucht, dürfte mit Bad Art nicht schlecht bedient sein. Ein Sammler zeigt hier eine Kollektion, die seiner Meinung nach die schlechtesten Kunstwerke Amerikas vereint.
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