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P O L I T I K O N L I N E Virtuelle Sit-ins und digitaler Devotionalienhandel Von Stefan Krempl
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit versprachen sich die frühen Propheten des Internets vom neuen, "demokratischen" Medium. Nach fünf Jahren World Wide Web zeigt sich: Politisch aktiv sind auch online vor allem die üblichen Verdächtigen. Nur haben sich die Chancen der "außerparlamentarischen Opposition" klar verbessert.
Hinter der Parodieseite, die nach dem WTO-Vorläufer "General Agreement for Tariffs and Trade " (GATT) benannt ist, steht die Aktivistengruppe RTMark, die mit ironischen "Website-Klonen" bereits den republikanischen Präsidentschaftskandidaten George Bush sowie den New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani zur Weißglut gebracht hatte. Obwohl die Parodieseiten den "Originalen" im Design haargenau gleichen, sind die Botschaften doch schnell als Satire zu durchschauen. Wer wollte schon ernsthaft glauben, konterte RTMark-Sprecherin Ray Thomas, dass Bush beispielsweise mit der Forderung nach offenem Drogenkonsum Wahlkampf machen würde? Auf Diskussionen ließen sich die "Elektrohippies" erst gar nicht ein. Die linke Gruppierung hatte für den 30. November zum virtuellen "Sit-in" gegen die WTO-Homepage aufgerufen. Bei dieser Form der "Tele-Demo" wird der anvisierte Server durch permanente Browseranfragen unter Druck gesetzt und eventuell sogar in die Knie gezwungen. Bis zu einem solchen "Denial of Service" schafften es die Elektrohippies zwar nicht, nach Angaben der Gruppe sollen die Daten während der Aktion aber nur noch im Schneckentempo vom WTO-Server getröpfelt sein.
Als "Durchbruch" computervermittelter Protestkommunikation bezeichnet Bieber die "Blue Ribbon Campaign" gegen den von der US-Regierung 1995 geplanten Communications Decency Act, mit dem die Verbreitung "anstößiger" Inhalte im Netz verboten werden sollte. Die Regie der Kampagne, die auf unzähligen Webseiten blaue Schleifen leuchten ließ, übernahmen damals die Electronic Frontier Foundation und das Center for Democracy and Technology, die sich inzwischen als Player in der Lobbyistenszene im Netz und in Washington etabliert haben. Ein Ableger der Aktion war die Krypto-Kampagne, die in Deutschland unter www.crypto.de koordiniert wird. Seitdem haben "Online-Proteste oder -Streiks hier zu Lande einen regelrechten 'Boom' erlebt", schreibt der Politikwissenschaftler und verweist auf die Hochschulstreiks von 1997 und 1998, bei denen "nahezu professionelle Web-Präsentationen das Rückgrat des studentischen Online-Streiks" bildeten. Der Trend gehe dabei zur Vernetzung von virtuellen Aktionen mit "klassischen Formen der Protestkommunikation."
Auch wenn die wirklich "demokratische Netzöffentlichkeit" noch auf sich warten lasse, so Biebers Resümee, sei der Prozess der "Demokratisierung von Öffentlichkeit" doch in vollem Gange. Die virtuelle Arena politischer Kommunikation erlaube "auch Akteuren eine aktive Teilnahme und Positionierung, für die die Öffentlichkeit der Massenmedien nicht zugänglich gewesen wäre." Am Netz werden so in Zukunft immer weniger Player im politischen Gravitationsfeld vorbei kommen: Für Bieber zumindest ist das Internet zu einem "festen Bestandteil politischer Kommunikations- und Organisationsprozesse" geworden.
© SPIEGEL ONLINE 02/2000
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